Angedacht 2015

17.12.15

Die Weihnachtsgeschichte nach Lukas beginnt mit Kaiser Augustus, der sein Volk zählen lassen will. Für den Bereich Judäa, wo Bethlehem lag, war damals der Statthalter Syriens zuständig, mit Namen Quirinius. Er war ein sehr erfolgreicher Feldherr und Politiker und bekam deshalb die Verantwortung für Syrien übertragen, eine der wichtigsten Provinzen im Römischen Reich. Ein Mensch aus Syrien hat also Josef und Maria in die Listen von Bethlehem eingetragen, so steht`s geschrieben in der Weihnachtsgeschichte. Ein byzantinisches Mosaik in der Kahriye-Cami-Kirche in Istanbul zeigt das bildlich: Maria und Josef stehen vor Quirinius, der auf einer langen Steuerliste die Namen einträgt. Kaiser Augustus war weit weg. Quirinius war für Maria und Josef der Mensch, der ihnen als römischer Machthaber gegenüber stand und Namen und Steuern verlangte.
Unruhen gab es damals in der jüdischen Bevölkerung wegen der Volkszählungen. Denn viele Juden wollten nur Gott Geld geben und nicht dem gottähnlichen Kaiser in Rom. Aber offensichtlich hat der syrische Statthalter Quirinius seine Sache im Sinne Roms gut gemacht und sich von seinem Kurs nicht abbringen lassen. Deshalb war er wohl bekannt und wurde in die Weihnachtsgeschichte aufgenommen. Und auch jüdische Hohepriester haben sich dafür eingesetzt, keinen großen Aufstand anzuzetteln und stattdessen mit den Römern in Steuersachen zusammenzuarbeiten. Immerhin ist es so nicht zu einem Krieg gekommen. Das aus Jesu Mund überlieferte Wort "So gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!" ist ähnlich gelagert und sorgt ebenfalls für einen entspannten Umgang mit den Steuern für Rom.
Vermutlich haben wir all die Jahre über dieses Detail der Weihnachtsgeschichte hinweggelesen. Der syrische Statthalter beeinflusst das Leben von Maria, Josef und Jesus, aber er will nur ihre Steuern und nicht das Leben des Kindes. Er agiert offensichtlich so geschickt, dass kein Aufstand ausbricht und kein Blut fließt. Anders ist es mit Herodes, dem jüdischen König in Jerusalem. Er trachtet dem Kind nach dem Leben; er ist verantwortlich für den Kindermord und macht Jesus und seine Eltern dadurch zu Flüchtlingen, die ins Ausland fliehen müssen.
Auch heute gibt es Listen von Menschen und Mächtige, die über solche Listen bestimmen. Menschen aus Syrien und anderen Ländern kommen zu uns, um sich hier als Asylbewerber registrieren zu lassen. Sie müssen zunächst - außer Mehrwertsteuern - keine Steuern bezahlen, sondern bekommen als Flüchtlinge Steuergelder, um zu überleben. Aber es liegt in unserer Macht, auf welcher Liste sie auf Dauer stehen: auf der Liste derjenigen, die bleiben dürfen und dann auch Steuern zahlen, sobald sie arbeiten, oder auf der Liste derer, die wir heimschicken. Solche Listen beunruhigen, vor allem, wenn sie länger und unüberschaubarer werden. Das merken wir in unserem Land. Aber so wie es vor 2000 Jahren geschickte Politiker wie Quirinius gab, die alles organisiert haben, gibt es auch heute Bürgermeister, Politikerinnen und unendlich viele Helferinnen und Helfer, die engagiert ihre Arbeit für und mit den Flüchtlingen tun, die auf ihren Listen stehen. In den Orten, in denen ich mich bewege, hier in Mainaschaff, in Kleinostheim, Stockstadt und Aschaffenburg, läuft alles gut organisiert und friedfertig. Auch in unserer Zeit beeinflusst die große und kleine Politik die Schicksale von vielen Menschen. Mögen wir alles dafür tun, dass es dabei friedlich bleibt. Dann kann es Weihnachten werden.
Frohe Weihnachen und ein gesegnetes neues Jahr!
Ihre Birgit Niehaus, Pfarrerin

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3.12.2015

Der Regen war Schuld. Oder die mangelnde Attraktivität der Einkaufsstadt Aschaffenburg. Oder der Weihnachtsmarkt, der von manchen nur als mittelmäßig beurteilt wird. Es werden nun, in den Tagen danach, fleißig Überlegungen angestellt, warum der erste verkaufsoffene Sonntag am ersten Advent in Aschaffenburg kein großer Erfolg war und die erwarteten Menschenmassen ausblieben. Dabei werden im Stadtrat, wo die Abstimmung für diesen Shoppingsonntag im Advent denkbar knapp ausging, sicher Argumente gefallen sein. Ich habe als Frau der Kirche auch viele gehört und ausgetauscht. Kaum einer meiner Gesprächspartner in den letzten Wochen hat sich über diese Entscheidung gefreut. Keiner gesagt: "Da gehe ich hin!" Viele waren der Meinung: "Nein, bloß nicht noch mehr Termine, das brauchen wir nicht."

Menschen, die sich den Kirchen verbunden fühlen, organisieren und besuchen in diesen Adventswochen liebevoll vorbereitete Basare, Adventsnachmittage und tolle Musikveranstaltungen. Sie brauchen und wollen keinen Einkaufstag an einem der wenigen Adventssonntage. Denn sie sind mit anderen Veranstaltungen ausgefüllt und wünschen sich eher einen freien Sonntag, damit man sich in Ruhe um den Adventskranz setzen kann, um zu lesen, zu singen, zu reden, Tee zu trinken, Stollen zu essen und die gemütlichen Stunden zuhause zu genießen. Es gibt eben mehr als Konsum! Und im Advent ist die Sehnsucht nach diesem Mehr besonders groß. Denn die Zeit vor Weihnachten ist mit seiner Termindichte hektisch genug und das Weihnachtsfest hat ohnehin schon einen fetten kommerziellen Anstrich und braucht nicht mehr desgleichen. Viele Menschen sehnen sich nach Ruhe und nach einem Miteinander jenseits von Konsum. Menschen lieben Musik, auch die vielen adventlichen und weihnachtlichen Konzerte. Nicht verwunderlich, dass sie sich für solche Kulturangebote hinterm Ofen hervorlocken lassen, nicht aber für Kaufhaus & Co. Das kann man schließlich jeden im Jahr Tag haben. Bedarf besteht vielmehr danach, den für viele verborgenen Sinn von Adventszeit und Weihnachtsfest wieder freizulegen und zu feiern.

Insofern war der geschäftliche Flop am 1. Advent für mich ausgelöst durch eine Abstimmung mit den Füßen auf Erden und durch die Tränen, die der Himmel geweint hat. "Petrus als Spielverderber" titelt das Main-Echo. Richtig. Und Petri Brüder und Schwestern auf Erden als stille Spielverweigerer. Eindeutiger geht es nicht. Dabei haben wir Kirchen auf jede Form des Boykotts oder den Aufruf dazu verzichtet.
Das war vor zehn Jahren in Frankfurt ganz anders. 2005 fiel der erste Advent in den November. Daraufhin hatte der Frankfurter Magistrat erstmals an einem Adventssonntag die Öffnung der Geschäfte in der Innenstadt gestattet, weil die bis dahin gültige Rechtslage nur an den Sonntagen im Dezember die Ladenöffnung verbot. Die ev. und kath. Kirchen in Frankfurt teilten mit, dass die Glocken der Innenstadtkirchen am Samstag, den 26. November 2005 schweigen sollten als „Zeichen des stillen Protestes“ gegen den verkaufsoffenen ersten Adventssonntag. Die Kirchen sahen darin eine Abkehr von der „besonderen öffentlichen und politischen Wertschätzung der kirchlichen Feiertage“. Damit sei die Voraussetzung für das 1978 vertraglich vereinbarte Große Stadtgeläute von Seiten der Stadt entfallen. Man rief die Mitglieder der Kirche zum Boykott des verkaufsoffenen Sonntages auf. Erstmals seit 1978 fiel damit ein Stadtgeläute aus. Der Magistrat hatte erklärt, mit der Ladenöffnung am 1. Advent sollte verhindert werden, dass die Frankfurter zum Einkaufen ins Umland abwanderten. Der Beschluss der Kirchen wurde in der städtischen Öffentlichkeit wochenlang kontrovers diskutiert. Daraufhin beschloss der Hessische Landtag ein neues Ladenschlussgesetz, das am 1. Dezember 2006 in Kraft trat. Darin ist geregelt, dass künftig alle Adventssonntage von Sonderöffnungen frei bleiben müssen, auch dann, wenn der erste Advent noch in den November fällt. So ist das in der quirligen Einkaufsstadt Frankfurt bis heute.

Mit freundlichen Grüßen
Ihre Birgit Niehaus, Pfarrerin

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26.11.15

Manche werden es schon gehört haben, für andere ist diese Information neu: Ich werde als Pfarrerin zum 1. Juni 2016 auf die 1. Pfarrstelle St. Matthäus in Aschaffenburg-Schweinheim wechseln. Meine Wahl fand in der letzten Woche im Kirchenvorstand St. Matthäus statt. Wenn ich gehe, werde ich 14 Jahre in Mainaschaff gewesen sein, eine lange Zeit, eine schöne und erfüllte Zeit. Wir sind hier zuhause und für meine Kinder ist Mainaschaff der Ort ihrer Kindheit und damit Heimat. Auch ich habe mich hier als Pfarrerin von St. Markus mit den vielen Mitarbeitenden und als Einwohnerin von "Oscheff" immer sehr wohl gefühlt, sonst wäre ich nicht so lange geblieben. Meine Kinder und ich haben hier unzählige gute Erfahrungen, Begegnungen und Freundschaften erlebt. Das Miteinander im Ort zwischen Katholischer Kirche und dem Pastoralteam dort, Evangelischer Kirche und Politischer Gemeinde - allen voran meinen beiden lieben und geschätzten "Kollegen" Pfarrer Georg Klar und Bürgermeister Horst Engler - ist freundschaftlich und vertrauensvoll. Da ist viel gewachsen im Laufe der Jahre, und ich ahne, was ich alles verlieren werde. Ich sage es ausdrücklich: Wir ziehen nicht um, weil irgend etwas hier nicht stimmt. Wir ziehen um, weil das für eine evangelische Pfarrerin der Ev.-Luth. Kirche in Bayern ein normaler Vorgang ist, der von uns erwartet wird. Wir sollen nicht länger als 10-15 Jahre auf einer Stelle bleiben.

Ich habe mich auf die Stelle in Schweinheim beworben, weil Matthäus I eine attraktive Stelle ist, mit vielen netten MitarbeiterInnen und lieben KollegInnen, die ich ja schon lange kenne. Deshalb freue ich mich, dass ich gewählt worden bin und dort weiterarbeiten darf. Die neue Stelle ist eine Herausforderung, auf die ich nach 14 Jahren gespannt bin. Meine Kinder müssen ihre Schulen nicht wechseln, und wir alle können unsere Freundschaften mit den Menschen, die uns hier und im Aschaffenburger Raum ans Herz gewachsen sind, weiter pflegen. Deshalb sind wir bei allem Abschiedsschmerz auch froh, in Zukunft in Aschaffenburg leben zu können. Und sicher wird uns der Weg auch immer wieder nach Mainaschaff, Kleinostheim oder Stockstadt führen.

Dass die Perspektive einer doppelten Vakanz für St. Markus nicht einfach ist, ist uns allen - Kirchenvorstand, Mitarbeitende, Dekan, mir selber - bewusst. Wir suchen in den kommenden Wochen gemeinsam nach Wegen, die Arbeit von St. Markus auf viele Schultern zu verteilen. Und ich bleibe, bis alle drei Konfirmationen und die vielen Ostergottesdienste geschafft sein werden und alles ordentlich geregelt sein wird. Meine Verabschiedung wird am 8. Mai 16 nachmittags im Ev. Gemeindezentrum in Mainaschaff stattfinden und in Schweinheim werde ich dann zum 1. Juni 16 beginnen. Die Einführung dort wird am 5. Juni sein. Zwischendurch ziehe ich mit Kind und Kegel um. Bis es soweit ist, werde ich noch einige Monate in Mainaschaff leben und in allen drei Sprengeln von St. Markus arbeiten und sicher noch vielen von Ihnen begegnen.
Seien Sie herzlich gegrüßt von
Ihrer Birgit Niehaus,Pfarrerin

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12.11.15

Am vergangenen Freitag hat der Bundestag nach langem Vorlauf und vielen vorab geführten Diskussionen ein neues Gesetz zur Sterbehilfe verabschiedet. Das Ergebnis kam schon bei der ersten Abstimmung mit überraschender Klarheit und Mehrheit.
Aktive Sterbehilfe ist ohnehin nicht erlaubt in Deutschland und sie stand auch gar nicht zur Debatte. Zur Disposition stand, was es in anderen Ländern wie der Schweiz oder Belgien gibt: organisierte, straffreie Beihilfen zum Suizid. Doch solche kommerziellen Institutionen oder Sterbehilfevereine, die Menschen beim von ihnen selbst gewollten Sterben helfen, indem sie tötende Medikamente bereit stellen und Begleitung anbieten, sind in Deutschland nun weiterhin verboten; das stellt das Gesetz klar. "Geschäftsmäßige Sterbehilfe", so die Sprache des Gesetzes, ist in Deutschland nicht erlaubt und wird strafrechtlich verfolgt. Dass es in Einzelfällen, aber nicht geschäftsmäßig organisiert, solche Beihilfen gibt und weiterhin geben wird und sie straffrei bleiben, scheint das Gesetz unausgesprochen für möglich zu halten. Das hieße im Klartext: Ein Angehöriger, der einem geliebten Menschen seinen Wunsch erfüllt und ihm durch Besorgen oder Bereitstellen eines Medikaments beim Suizid hilft und in der Sterbestunde bei ihm bleibt, muss nicht (mehr) mit strafrechtlichen Konsequenzen wegen Tötung oder unterlassener Hilfeleistung rechnen.
Noch wichtiger ist jedoch, dass der Gesetzgeber einen Tag zuvor ein Gesetz zur besseren Versorgung von unheilbar kranken und sterbenden Menschen verabschiedet hat. Die Arbeit von Palliativmedizin und Hospizen wird in Zukunft ausgebaut, gestärkt und finanziell besser unterstützt. So ist ein Sterben in Würde und ohne Schmerzen möglich. Das kann Menschen die Angst vor einem qualvollen Sterben nehmen oder sie zumindest reduzieren.
Mit diesen jüngsten Entscheidungen des Bundestages können wir, so denke ich, gut leben und sterben. Leben ist ein hohes schützenswertes Gut, auch in Krankheit und Alter, selbst im Prozess des Sterbens. Keiner wird zum Sterben gedrängt werden dürfen, weder aktiv noch passiv durch die Existenz von Sterbevereinen und eine schleichende Veränderung der gesellschaftlichen Bewertung von Krankheit und Alter. Die Würde des Menschen wird durch die neue Gesetzeslage nicht angetastet. Sie wird vielmehr geachtet durch die bessere medizinische und seelsorgerliche Versorgung, die es zum Teil schon gibt, aber nicht von allen genutzt werden kann, weil sie noch nicht flächendeckend bereit gestellt werden kann. Das wird sich ändern. Gut so. Leben ist Leben in Würde bis zuletzt; Leben ist schützenswert bis zum letzten Atemzug. Das ist nun durch dieses neue Gesetz klargestellt und das entspricht unserer christlichen Vorstellung. Wir glauben als Christen, dass Gott das Leben schenkt und auch den Zeitpunkt bestimmt, wann der letzte Lebensatem aus einem Menschen weicht. Bis dahin darf und soll er leben, in einem fürsorglichen Umfeld, umgeben von liebevollen Menschen und der bestmöglichen Medizin.
Mit freundlichen Grüßen
Ihre Birgit Niehaus, Pfarrerin

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29.10.2015

Unser Land verändert sich, seit vielen Jahren spüren wir das. Aus einem christlich geprägten Land, in dem die meisten einer Kirche angehörten, wird ein Land mit vielen Kulturen und Religionen, auch mit der Möglichkeit, keiner Religion anzugehören oder aus einer Kirche auszutreten, ohne Nachteile befürchten zu müssen. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland schützt die Pluralität der Religionen, der Kulturen und Lebensentwürfe, solange sie mit dem Grundgesetz im Einklang sind. Wir haben eben schlechte Erfahrungen gemacht mit Einheitsideologien. Deshalb wollen wir ein offenes, ein tolerantes Deutschland, ein Land, das Freiheit liebt und lebt.

Und trotzdem: Viele Menschen machen sich Sorgen, dass der christliche Glaube immer weniger Gehör findet. Wird unser Glaube seine Prägekraft für die Gesellschaft verlieren? Werden die starken Impulse, die durch Judentum und Christentum in unser Land gekommen sind, die sich niedergeschlagen haben in Humanismus, Menschenrechte und Grundgesetz, schleichend schwächer werden? Die Frage ist offen. Ich glaube, es liegt an uns, wohin die Reise geht. An uns Christen und unserem Verhalten liegt wesentlich, was weiterhin passieren wird. Denn noch sind wir - zumindest auf dem Papier - sehr viele!! Es liegt weniger an den vergleichsweise wenigen Menschen, die neu in unser Land kommen. Wir sind gefragt: Was lieben wir an unserem Christsein? Was leben wir davon den anderen vor? Wofür stehen wir Christen? Der Minister Thomas de Maizière hat es neulich eher kritisch formuliert: Er meinte, wir Christen seien zu lau. Er forderte von Christen ein deutlicheres Bekenntnis zu ihrem Glauben als Gegenbeweis zur Befürchtung, Deutschland würde islamisiert.

Als Jesus vor 2000 Jahren seine Botschaft verkündet, waren auch viele Religionen unterwegs. Die griechischen und römischen Götter wurden verehrt, das Judentum war stark, es gab viele Mysterienreligionen, auch sehr rational geprägte Philosophien wie die Stoa. Und mitten hinein in diese Gemengelage kommt Jesus. Das, was Jesus gelebt und gelehrt hat, hat sich erstaunlicherweise sehr schnell und weit verbreitet in der damaligen Welt der Antike. Alles übrigens ohne Internet, ohne Buchdruck, ohne Auto und wie gesagt, obwohl es viele Alternativen gab. Christen in den ersten Generationen haben ihren Glauben überzeugend gelebt. Sie sind damals, obwohl sie so wenige waren, aufgefallen, sie haben gewirkt durch ihr Leben. Jesus und die ersten Christen ließen sich durch andere Religionen nicht verunsichern. Zur Kernbotschaft unseres christlichen Glaubens gehört z. B. die Feindesliebe. Sie grenzt Jesus gegen alles ab, was es sonst gibt. Deshalb immer die Sätze: Ihr habt gehört, dass gesagt ist, ich aber sage euch. Die Feinde zu lieben, das ist wirklich etwas Besonderes, ja Verrücktes. Das fordert uns christliche Menschen bis heute heraus.

Wir leben in Deutschland gerade ein Stück christlichen Humanismus, den die Welt nicht übersieht. Wir nehmen Fremde auf und versorgen sie. Christen tun das, aber auch Menschen anderen Glaubens; viele helfen mit und wollen barmherzig sein. Auch wenn das nicht immer leicht ist und Kraft, Geld und Nerven kostet. Auch wenn andere rufen: "Halt, stoppt die Barmherzigkeit." Wohin unser Land steuert, hängt davon ab, welchen Glauben wir haben, was wir vertreten und was wir leben. Gerade auch wir Christen. Wir haben so eine wunderbare Botschaft, die herausragt, die die Welt verändern kann und sie menschlicher macht.

Mit freundlichen Grüßen
Birgit Niehaus, Pfarrerin

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22.10.2015

Mit einem Gebet statt mit Applaus endete die Rede von Navid Kermani zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels. Auf seinen eigenen Wunsch hin geschah das so. Das kam überraschend und bleibt als beeindruckende Geste in Erinnerung. Religiöse und andere Menschen ermunterte der Islamwissenschaftler Kermani, sich etwas zu wünschen: für Pater Paulo und Pater Jacques in Syrien und für die 200 Christen ihrer Gemeinde, die durch den Islamischen Staat gefangen genommen wurden, sowie für die Befreiung aller Geiseln und für die Freiheit von Syrien und Irak.
Mit einer Schilderung dieses christlichen Klosters in Syrien und ihren beiden Vorstehern Pater Paulo, der immer noch verschollen ist, und Pater Jacques, der gerade von Muslimen aus den Händen der IS befreit wurde, begann seine Rede. Das alte christliche Kloster war in Syrien ein Ort des Friedens, des Betens, der Zuwendung und der Hilfe für viele Menschen. Religiöse und kulturelle Grenzen wurden durch Liebe überwunden. Ebenso unerwartet wie das Ende war dieser ausführliche Beginn der Rede über ein christliches Kloster und zwei ihrer Ordensmänner.
Aber Kermani sagte auch klar, dass der Westen zu lange zugeschaut habe und zitiert dabei häufiger das Wort des syrischen Paters: "Wir bedeuten ihnen nichts." Zum Krieg aufrufen will er nicht, aber doch daran erinnern, dass in Syrien und andernorts Krieg herrscht und auch wir uns dazu verhalten müssen.
Mich erinnert das, was Navid Kermani uns, seinen deutschen Landsleuten in der Paulskirche sagt, an Worte von Dietrich Bonhoeffer, der auch - konfrontiert mit einem menschenverachtenden Krieg in Europa - sagt: "Unser Christsein wird heute nur in zweierlei bestehen: im Beten und im Tun des Gerechten unter den Menschen. Alles Denken, Reden und Organisieren in den Dingen des Christentums muss neu geboren werden aus diesem Beten und diesem Tun."

Mit freundlichen Grüßen
Birgit Niehaus, Pfarrerin

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08.10.2015

Vor einer Woche standen im Main-Echo auf Seite 2 umfangreiche Texte zur Thematik "Kirche und Investment". Beide Großkirchen haben dazu in den letzten Jahren Papiere veröffentlicht. Die Kirchen besitzen hohe Rücklagen, vor allem für die Pensionen ihrer Pfarrerinnen und Pfarrer und anderer Mitarbeiter. Dieses Geld legen sie zugleich sicher und - wenn möglich - gewinnbringend an. Das ist sinnvoll und klug. Jeder Privatmensch macht es ebenso. Aber sowohl Einzelpersonen als auch Institutionen wie die Evangelischen Landeskirchen überlegen sich natürlich, wo sie ihr Geld investieren. Neben der Sicherheit der Anlage und der erwartbaren Höhe des Gewinns gibt es bei der Geldanlage von Kirchen auch um ethische Kriterien. Dass Kirche zum Beispiel nicht in Unternehmen und Länder investiert, die die Menschenwürde verletzen und foltern, die die Todesstrafe praktizieren oder Abtreibung befördern, versteht man, ja erwartet man sogar von Kirche. Manches ist unstrittig - in beiden Kirchen gleichermaßen und sicher beim Großteil des Kirchenvolks. Positiv formuliert könnte man sagen: Kirche will mit ihrem Geld am liebsten Firmen und Technologien fördern, die lebensförderlich, menschenfreundlich, umweltfreundlich und nachhaltig sind und über eine gute Unternehmenskultur verfügen.
Strittig waren lange Zeit Investitionen bei der Kernkraft. Nicht nur die Grünen, auch die konservativen Parteien dieses Landes haben spätestens nach den Erfahrungen von Fukushima die Atomkraft zunehmend kritisch beurteilt und mehr auf regenerierbare, nachhaltige und ungefährlichere Energiegewinnung gesetzt und den Ausstieg aus der Kernkraft beschlossen. Diese veränderten ethischen Beurteilungen in Politik und Gesellschaft kommen nun auch bei den Investitionen der Kirche zum Tragen. Ethische Entscheidungen gelten nie für alle Zeit, sie müssen immer wieder neu überdacht und getroffen werden.
Andere Fragen bleiben weiterhin unklar. Soll man vonseiten der Kirche einen Konzern wie Daimler unterstützen, der zum Großteil Nutzfahrzeuge, aber zum Teil auch Rüstungsgüter herstellt? Die Antworten sind nicht immer klar und eindeutig, aber diese Fragen nicht zu stellen wäre noch unverantwortlicher. Ich habe übrigens aus genau diesen ethischen Bedenken heraus als Studentin entschieden, nicht bei Daimler zu arbeiten, obwohl man dort sehr gut bezahlt wurde. Stattdessen habe ich in einem Altenheim für deutlich weniger Geld gearbeitet. Das war meine persönliche Gewissensentscheidung und deshalb ist diese auch von anderen nicht anfechtbar. Kirchenleitende Gremien müssen solche Entscheidungen aber für das ganze Kirchenvolk treffen. Das ist schwerer, denn natürlich ist nicht jede Entscheidung für alle gleichermaßen nachvollziehbar und gut - eben gerade bei strittigen Fragen.
Deshalb wird man an manchen Punkten im positiven Sinne weiter streiten, Meinungen immer wieder überdenken und verändern und sich um ethisch begründbare und nachvollziehbare Entscheidungen bemühen.

Das meint und grüßt Sie herzlich
Ihre Birgit Niehaus, Pfarrerin

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05.10.2015

"Lügen haben kurze Beine", sagt man. Das bewusste Täuschen und Lügen des VW-Konzerns über Abgaswerte mancher ihrer Dieselfahrzeuge geht seit Tagen als schockierende Nachricht um die Welt. Ein paar Jahre hat man diese Machenschaften geheim halten können, doch nun kommt alles ans Licht. Die kurzen Lügenbeinchen haben eben nicht weit getragen. Und dieses den Kunden täuschende Verhalten hat schon erhebliche Konsequenzen gehabt. Der Kurs der VW-Aktie sinkt. Käufer und Politiker sind enttäuscht. Das Vertrauen in die Marke VW und in weitere verwandte Marken, die ähnlich agiert haben, ist erstmal erschüttert. Ein Verantwortlicher musste gehen; vermutlich folgen noch weitere. Warum hat man Programme manipuliert und Abgaswerte geschönt? Allein um bessere Verkaufszahlen zu erzielen und einen größeren Profit zu erwirtschaften. Die Folgen dieser nun aufgedeckten Lügen und Täuschungen sind immens und noch gar nicht ganz abzusehen. Das unfaire Verhalten, das eigentlich Profit steigern sollte, sorgt nun für sinkende Profite.
In den zehn Geboten heißt das Gebot, das wir in der Kurzform unter "Du sollst nicht lügen" kennen, eigentlich: "Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten". Das heißt, die Bibel sieht ganz klar: Beim falschen und lügnerischen Reden schädigt man meistens einen oder mehrere Menschen. In der ursprünglichen Gebotsformulierung ist also stets ist im Blick, dass das Lügen großen Schaden anrichten kann, ja es kann sogar dazu führen, dass jemand getötet wird oder sein Ruf dauerhaft geschädigt wird. Lügen schädigt meist nicht nur die Belogenen, sondern letztlich auch den Lügner selbst, spätestens wenn die Lüge auffliegt. So ist es jetzt im Abgasskandal.
Lügen haben kurze Beine, das wissen wir alle, und diese Geschichte zeigt es mal wieder. Die Gegenerfahrung lautet im Sprichwort: "Ehrlich währt am längsten." Oder, in der der Sprache der Bibel: "Die Wahrheit wird euch frei machen." Jetzt hilft den betroffenen Autofirmen nur, wenn sie Vertrauen zurückgewinnen wollen, eine radikale Umkehr zu ehrlicher Aufklärung, ein Rauschmiss der Lügner und die Rückkehr zur Wahrheit.
Mit freundlichen Grüßen
Ihre Birgit Niehaus, Pfarrerin

 

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17.09.2015

Die erste Euphorie ist vorbei. Aber sie wirkt noch nach. Die Bilder von den vielen Menschen, die die den vergangenen Wochen aus schwierigen Verhältnissen geflüchtet sind und hier in Deutschland, vor allem in Bayern, herzlich begrüßt und aufgenommen wurden, gingen um die Welt. Genauso die Bilder von vielen Menschen, die sich haupt- oder ehrenamtlich engagieren und alles Menschenmögliche tun, damit die vom Krieg gebeutelten Menschen eine sichere Zuflucht finden und gut versorgt werden. Das sind hoffnungsvolle Bilder, Bilder von einem gastfreundlichen, offenen Land. Kein Wunder, dass so ein Land attraktiv wirkt und Menschen anzieht.
Nach der großen Euphorie kommt in der Regel die Ernüchterung und dann beginnt die Herausforderung, das Begonnene auch durchzuhalten. So ist das immer, bei einem neuen Hobby oder einer neuen beruflichen Aufgabe, in jeder Freundschaft und mit einer neuen Liebe. Der Anfang verleiht einem Flügel, aber das dauerhafte Fliegen kostet Kraft. Es kommen ja - trotz neuer Grenzkontrollen - täglich noch mehr Flüchtlinge zu uns und die schon Aufgenommenen müssen weiter versorgt werden. Natürlich stellen sich jetzt die drängenden Fragen, wie man die Versorgung der Flüchtlinge innerhalb von Deutschland und innerhalb von Europa gerechter verteilen kann. Jetzt wird sich zeigen, ob Europa nur eine Handels- und Währungsunion ist oder gemeinsame Werte hat und eine einheitliche Flüchtlingspolitik zustande bringt. Wenn Europa das nicht schafft, bekommt es einen erheblichen Knacks.
Unsere jüdisch-christliche Tradition, die Europa stark beeinflusst hat und hoffentlich weiterhin prägen wird, ist eindeutig: Die Nächstenliebe gilt nicht nur denen, die mir am nächsten sind, auch wenn das Wort "Nächster" das nahe legt, sondern der Nächste ist immer der, der meiner Hilfe bedarf. Der Nächste ist der, der unter die Räuber gefallen ist. Und dass Flüchtlinge, die vor Krieg und Hunger fliehen, unsere Nächsten sind und Hilfe benötigen, ist klar; das muss man nicht diskutieren. Der besondere Schutz, unter denen Flüchtlinge stehen, wird in der Bibel auch so begründet: "Die Fremdlinge sollst du nicht bedrängen und bedrücken; denn ihr seid auch Fremdlinge in Ägyptenland gewesen." Ja, bedenke, dass dir so etwas auch schon mal passiert ist oder passieren könnte.
In der Tat, etliche, die in Deutschland leben, waren selbst schon mal auf der Flucht, sind Vertriebene oder Aussiedler, die nach dem 2. Weltkrieg oder in den letzten Jahrzehnten hier angekommen sind und einen neuen Anfang gewagt haben. Sie können sich gut einfühlen und haben sicher ein Herz für Menschen, die heute ihre Heimat verlassen müssen und in einem für sie fremden Land leben müssen. Machen wir das Beste aus dieser Herausforderung, die unser Land und den ganzen Kontinent Europa betrifft. Jeder kann einen Beitrag leisten, durch Sach- und Geldspenden oder anpackende Hilfe. Und auch dadurch, dass er fremdenfeindliche Parolen nicht mitbrüllt und weiterhin für eine fremdenfreundliche Stimmung sorgt.

Mit freundlichen Grüßen
Birgit Niehaus, Pfarrerin

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20.08.2015

Hochmut kommt vor dem Fall, sagt ein Sprichwort. Und es bezieht sich damit - die meisten werden es nicht wissen - auf die erste Geschichte der Bibel. Sie beschreibt, dass der Mensch mit seiner Rolle in Paradies nicht zufrieden ist. Er will mehr tun, als nur gut versorgt in einem schönen Garten leben. Der Mensch will selbst bestimmen, wo es langgeht, er will sein Leben in die Hand nehmen und sein wie Gott. Dieser menschliche Konflikt mit Gott wird im ersten Buch der Bibel, in der Schöpfungsgeschichte, beschrieben. Für sein Aufbegehren, für seinen Hochmut und das Übertreten des einen göttlichen Gebotes muss der Mensch schließlich das Paradies verlassen. Der Mensch ist gefallen, von einem Zustand der paradiesischen Unschuld in die Schuld - und das mit allen Konsequenzen wie der Mühsal der Arbeit, Schmerzen und Scham. Erst kommt der Hochmut, dann der Fall mit vielen unschönen Folgen, zeigt die Bibel in dieser alten Geschichte ganz anschaulich, eine Geschichte aller Adams und Evas bis heute.
Wenn Menschen hochmütig werden, kommt das in der Regel nicht gut an. Dann fallen sie leicht, wissen wir alle. Das, was die alte Schöpfungsgeschichte erzählt, passiert tausendfach. Am letzten Sonntag hatten wir die Geschichte vom Pharisäer und Zöllner als Predigttext. Der Pharisäer, eigentlich ein angesehener jüdischer Gelehrter, betet im Tempel zu Gott und er dankt Gott dafür, dass er nicht so ist wie die Ehebrecher, Betrüger, Räuber und Zöllner. Er benennt, was er alles Gutes tut: fasten, spenden, beten. Der Zöllner betet auch im Tempel, aber er schaut kaum auf und spricht nur: "Gott sei mir Sünder gnädig." Der Zöllner ist ein Beispiel für demütiges Verhalten. Er weiß, dass er nichts vorweisen kann und Gott nur um Gnade bitten kann.
Jesus erzählt dieses Gleichnis und ergreift Partei für den Zöllner, macht ausgerechnet ihn zum Vorbild. Denn der Zöllner vertraut auf Gottes Gnade und geht deshalb froh und beruhigt nach Hause, gerechtfertigt, wie die Bibel es nennt. Dieser Zustand ist ähnlich dem Zustand Adams und Evas vor dem Fall. Der Pharisäer jedoch lebt allein von seinen guten Taten und hält sich selbst für besser als andere. Er denkt, er müsse täglich Gottes Gnade selbst verdienen. Er lebt immer noch nach dem Fall, ängstlich besorgt und nicht wissend, ob er es Gott Recht machen kann.
Die klassische Reihenfolge wird in diese Geschichte umgekehrt. Der Pharisäer vertraut allein sich selbst und dadurch läuft seine Gottesbeziehung falsch. Er ist hochmütig, aber nicht froh und gerechtfertigt. Er fällt so heraus aus der vertrauensvollen und liebenden Beziehung. Der Zöllner macht es hingegen richtig, denn er ist demütig und vertraut allein Gott. Ein bisschen so wie im Paradies.
Mit freundlichen Grüßen
Ihre Birgit Niehaus, Pfarrerin

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14.08.2015

Es ist Sommer und damit Hochsaison fürs Grillen. Was kommt bei Ihnen auf den Grill? Steaks und Würstchen? Fettiges Bauchfleisch oder mageres Geflügelfleisch? Oder doch eher Gemüse und Käse? Ich erlebe bei den meisten Grillfeiern, dass jede Menge Fleisch gegrillt wird und schließlich auf den Tellern landet. Allerdings gibt es in unserer Gesellschaft auch einen Trend, weniger Fleisch zu essen. Vegane und vegetarische Küche sind auf dem Vormarsch und bieten leckere Produkte und Gerichte an. Und im Grunde genommen ist das gut so. Denn unsere Fleischproduktion hat Schreckliches hervorgebracht und müsste uns zum Umdenken bringen. Berichte und Filme aus großen Viehmastbetrieben lassen einem die Lust auf Fleisch vergehen. Denn das für uns billige Fleisch wird teuer bezahlt - von den Tieren, die nicht gefragt werden und nichts gegen ihre mitunter furchtbaren Haltungsbedingungen tun können.
Es gibt noch einen weiteren Grund, beim Fleischkonsum auf die Bremse zu treten. Für die Produktion von Fleisch wird etwa zehnmal so viel Getreide und Gemüse verbraucht. Das heißt, Unmengen an Ackerbaufläche werden nicht bepflanzt, um Gemüse und Getreide auf die Teller zu bringen, sondern um die Tröge der Fleischmastbetriebe (vor allem für die reichen Länder) zu füllen. Deshalb ist der hohe Fleischkonsum in den reichen Ländern mit verantwortlich für die Rodung von Wäldern für die Gewinnung neuer Anbauflächen und damit für manches Umweltproblem. Außerdem wird die Weltbevölkerung weiter wachsen. Auf Dauer können wir es uns nicht leisten, für alle viel Fleisch zu produzieren. Wenn wir alle Menschen satt machen wollen, müssen wir verstärkt darauf setzen, Getreide und Gemüse zu essen und nicht zu verfüttern.
Ich finde es interessant, dass in der Schöpfungsgeschichte der Bibel der Speiseplan Gottes für den Menschen noch rein vegetarisch ist: "Und Gott sprach: Sehet da, ich habe euch gegeben alle Pflanzen, die Samen bringen, auf der ganzen Erde, und alle Bäume mit Früchten, die Samen bringen, zu eurer Speise. " Erst später, nach der Sintflut, ist es erlaubt und wird es üblich, Fleisch zu essen: "Furcht und Schrecken vor euch sei über allen Tieren auf Erden und über allen Vögeln unter dem Himmel, über allem, was auf dem Erdboden wimmelt, und über allen Fischen im Meer; in eure Hände seien sie gegeben. Alles, was sich regt und lebt, das sei eure Speise; wie das grüne Kraut habe ich's euch alles gegeben. Allein esst das Fleisch nicht mit seinem Blut, in dem sein Leben ist!" Dass die Tiere zum Verzehr in die Hände der Menschen gegeben werden, wird hier schon mit "Furcht und Schrecken" der Tiere vor den Menschen beschrieben. Wie wahr. Es ist nicht gut für die Tiere ausgegangen, dass sie zum Essen für die Menschen wurden.
Aber gerade die Noah-Geschichte erinnert uns auch daran, dass Gott neben wenigen Menschen viele Tiere gerettet hat. Sein Bund, den er nach der Sintflut aufrichtet, gilt nicht nur den Menschen, sondern allem lebendigen Getier auf Erden. Dafür steht der Regenbogen am Himmel: dass Menschen und Tiere hier auf Gottes Erde leben dürfen.

Mit freundlichen Grüßen
Birgit Niehaus, Pfarrerin

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07.08.2015

"Ferienzeit, nana,nanana, das ist die beste Zeit, nana,nanana. Nur Ferien weit und breit!" Das haben die Schüler der Grundschule im Abschlussgottesdienst munter und laut gesungen und dann singend erzählt, was man mit der besten Zeit des Jahres alles anfangen kann: "Lange spielen und spät aufstehn, nur das tun, was mir gefällt. Keine Hausaufgaben machen, ist das Schönste auf der Welt." Aber mehr noch ist möglich: ins Kino gehen, ausschlafen, lesen, draußen spielen, verreisen. Von Langeweile war nicht die Rede, aber von einem etwas gemütlicheren Leben, wo man nicht ständig auf die Uhr schauen muss und nicht alle Zeit verplant ist.

Nicht nur die Kinder sehnen sich danach, mal auszusteigen aus dem Alltag mit den fordernden Verpflichtungen. Den Erwachsenen ergeht es genauso. Viele sind in den Wochen vor dem großen Jahresurlaub müde und erschöpft. Aber nun sind wir endlich angekommen in den bayerischen Schulferien. Alles läuft etwas langsamer und die meisten regelmäßigen Termine finden 6 Wochen lang nicht statt. Auch für diejenigen, die momentan noch arbeiten müssen, dürfte es etwas ruhiger sein. Und dann werden wir zurzeit zudem erfreut mit sommerlichen Temperaturen, mit Sonne pur und Badewetter. Wie schön!

Auch diejenigen, die keinen großen Urlaub geplant haben und hier bleiben, kommen so sicherlich auf ihre Kosten. Spätestens, wenn man in Kleinostheim oder Mainaschaff am Strand des Mainparksees liegt oder sich im Stockstädter Waldschwimmbad vergnügt, stellt sich Urlaubslaune ein. Und mit der Urlaubsstimmung sicher auch die Dankbarkeit für diese guten Tage. "Danket dem HERRN; denn er ist freundlich, denn seine Güte währet ewiglich", heißt es in der Bibel oft. Vielleicht schicken wir zwischen zwei Schwimmzügen oder dann, wenn wir in den blauen Himmel schauen, auch mal ein kleines Dankgebet gen Himmel: "Danke, lieber Gott, für Sonne, Wasser, Wärme und die gute Zeit, die du uns schenkst."

Frohe Ferientage wünscht Ihnen
Ihre Birgit Niehaus, Pfarrerin

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30. Juli 2015

"Frauen in Führungspositionen" ist ein Thema, das in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft seit Jahren heiß diskutiert wird. Und das nicht nur als reine Quotenfrage, sondern immer mehr auch in qualitativer Hinsicht. Inzwischen gibt es wissenschaftliche Arbeiten, die untersuchen, ob es einen Einfluss auf ein Unternehmen hat, wenn es von Frauen und Männern zugleich geführt wird. Es ist wohl so, dass große börsennotierte Firmen, die Frauen in Führungspositionen wie Vorstand und Aufsichtsrat beschäftigen, erfolgreicher sind. Manche machen ihre Investmententscheidung inzwischen schon davon abhängig, ob Frauen im Management arbeiten. So war es neulich in unserer Tageszeitung MAIN-ECHO zu lesen (24.7.15, S. 8). Das ist eine bemerkenswerte Entwicklung. Auch die Kirchen haben sich diesen Herausforderungen zu stellen, denn dort arbeiten an der Basis mehr Frauen als Männer, aber je höher die Positionen und je größer die Verantwortlichkeiten werden, desto mehr Männer trifft man an, was höchst ungerecht ist.
Wenn man auf die Ursprünge unserer Kirche blickt, auf die Jesusbewegung und die frühe Missions- und Kirchengeschichte, dann sehen wir, dass Frauen dort - selbst in Zeiten des Patriarchats - von Anfang an eine bedeutende Rolle gespielt haben. Frauen folgten Jesus nach, sie boten ihm und seinem Gefolge Unterstützung und Unterkunft auf seinen Reisen durch das Land. Frauen waren für Jesus ernsthafte Diskussionspartnerinnen in religiösen Fragen. Und nach dem Tod Jesu an Karfreitag waren die Frauen die ersten, die aufbrachen, zum Grab gingen und dem auferstandenen Jesus begegneten. So bekommt Maria Magdalena schon früh den ehrenvollen Titel "Apostola Apostolorum", d. h. die Apostelin, die den anderen Aposteln das Evangelium verkündigt. Auch der erste Mensch, der in Europa christlich wird, ist eine Frau, die Händlerin Lydia. Und wenn man noch weiter zurück schaut, auf die älteste Geschichte des Volkes Israel, dann begegnet uns dort ebenfalls eine Frau in einer Führungsrolle. Neben Mose und Aaron hat ihre Schwester Mirjam das Volk geführt. Aus ihrem Munde stammt ein Lied, das als der älteste Text der Bibel gilt. Im Laufe der Kirchengeschichte hat man so manche führende Frau vergessen oder Geschichten umgeschrieben und die ursprünglich Frauen betreffenden Lorbeeren Männern zugerechnet. Und zu manchen Zeiten hat man vor allem schlaue Frauen mundtot gemacht, dämonisiert und als Hexen verbrannt; das ist eins der dunklen Kapitel unserer Kirchengeschichte.
Die Zukunft wird an dieser Stelle jedenfalls hochspannend werden. Frauen lassen sich nicht länger an den Rand drängen und wollen die volle Teilhabe an der Gesellschaft. Die besseren Schulabschlüsse machen sie schon lange und in vielen klassischen Männerberufen haben sie sich bewährt (in der ev. Kirche z. B. in Pfarramt und Bischofsamt). Vermehrt drängen sie nun in höhere Positionen. Diese Entwicklung wird sich nicht aufhalten lassen. Sie knüpft im Grunde genommen an die Schöpfungsidee Gottes an. Denn von Anfang an hat Gott den Menschen als Frau und Mann gemacht, gleichberechtigt und gleichwertig. Beide Geschlechter hat er mit vielen Talenten ausgestattet. Nutzen wir endlich die Gaben aller Menschen, Frauen und Männer, und das auf allen Ebenen. Das kann eigentlich nur gut ausgehen!
Das meint und grüßt sie herzlich
Ihre Birgit Niehaus, Pfarrerin

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21. Juli 2015

Diese Geschichte ging um die Welt, die Geschichte von dem palästinensischen Flüchtlingsmädchen Reem und der Bundeskanzlerin Merkel. Sie hat Menschen angerührt. Am vorletzten Mittwoch sind sich die beiden in einer Rostocker Schule begegnet. Das 14jährige Mädchen ist vor dem Krieg geflohen und hat in Deutschland ein schwieriges Asylverfahren erlebt. Sie hat nun Angst, abgeschoben zu werden. Merkel verwies bei der Begegnung auf die deutschen Gesetze und sagte, dass Deutschland nicht alle Menschen aufnehmen könne, die hierbleiben wollen. Daraufhin brach das Mädchen in Tränen aus. Merkel versuchte, das Mädchen zu trösten, indem sie es streichelte. Dieses Verhalten sorgte für höchst unterschiedliche Reaktionen weltweit, von Verständnis über Spott bis hin zu Ablehnung. Die Kanzlerin war einerseits gerührt von diesem Schicksal, aber musste zugleich die harte Position vertreten, dass die Gesetzeslage auf solche Einzelschicksale keine Rücksicht nimmt. Das war das Schwierige an dieser Situation.
In der Bibel gibt es viele Geschichten, in denen Schicksale einzelner erzählt werden: Menschen, die schwer krank sind, die überfallen werden, die auf die falsche Bahn gekommen sind, die aus irgendeinem Grund in eine schwierige Situation geraten sind. Wenn andere ihnen begegnen, gibt es auch unterschiedliche Reaktionen. Manche lässt das kalt, sie gehen bewusst vorüber, andere machen dumme Sprüche, aber es gibt auch immer solche, die stehen bleiben und die sich anrühren lassen. In der Lutherbibel steht dann oft: "Es jammerte ihn." Das heißt soviel wie Mitleid empfinden. Wenn jemand erstmal den Jammer des anderen an sich herankommen lässt, also empathisch reagiert, dann versucht er auch zu helfen. Das ist die normale, die menschlich angemessene Reaktion. So ist es beim verlorenen Sohn. Als er total verwahrlost nach Hause kommt, jammert es den Vater und er läuft auf ihn zu und umarmt ihn und heißt ihn willkommen. So ist es mit manchen Kranken, denen Jesus begegnet und die er daraufhin heilt. So ist es beim barmherzigen Samariter, der dem Überfallenen hilft, nachdem zwei andere vorübergegangen sind.
Das Mitleiden, das Empfinden des Jammers des anderen, hat immer ein Helfen zur Folge. Eine Hilfe, die die schwere Situation des Jammernden wirklich verbessert - und das ist mehr als ein tröstendes Herumtätscheln. Das echte Helfen hat sich die Kanzlerin verkniffen und das wirkte eben nicht stimmig und kam deshalb bei vielen nicht gut an. Zum Glück gibt es in unserem Land Politiker, die dieses Jammern durch die Begegnungen mit Flüchtlingen schon oft an sich herangelassen haben und deshalb Gesetze verändert haben. Ein neues Gesetz sieht vor, dass junge Menschen - so wie Reem - in Deutschland bleiben können, wenn sie mindestens vier Jahre in Deutschland wohnen und sich gut integrieren. Dieses Gesetz hat die meisten Instanzen bereits passiert und wird vermutlich bald in Kraft treten.
Mit freundlichen Grüßen
Birgit Niehaus, Pfarrerin

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16. Juli 2015

"Worüber soll ich das ANGEDACHT heute schreiben?", fragte ich die Frauen unseres Frauenkreises vor zwei Wochen. "Über Griechenland", haben sie gesagt. Aber ich sah mich außerstande, etwas Klares und Wegweisendes aus christlicher Perspektive zu diesem höchst komplexen Kapitel der Politik zu sagen. Ich habe auch keine Stellungnahme der EKD oder etwas Vergleichbares gefunden, wo unsere Kirche hier eindeutig Position bezogen hätte. Die Griechenlandpolitik zu beurteilen ist eben nicht einfach. In jeder Partei und in jedem Freundeskreis, ja selbst in den Ländern Europas gehen die Meinungen bunt durcheinander. Da sind diejenigen, die meinen, man müsse die Griechen im Euro halten und in die Knie zwingen und von ihnen fordern, alles mit großer Disziplin und mit Hilfe eines Politikwechsels im Land zurückzuzahlen. Diese Linie hat sich nun ja wohl bei den Verhandlungen am vergangenen Montag durchgesetzt. Dann gibt es welche, die denken, man solle Griechenland aus dem Euro entlassen, denn sie hätten von Anfang an die notwenigen Zahlen nicht gehabt und litten nur unter der Gängelung von Europa und insbesondere von Deutschland. Manche sind nicht mehr bereit, Griechenland weiter Gelder zu leihen, weil unklar ist, ob es jemals zurückgezahlt werden kann. Der jetzige Kurs, den Griechenland einschlagen muss, um neue Gelder zu bekommen - mit Rentenkürzungen und Mehrwertsteuererhöhungen - wird das ganze Volk belasten, die Armen am meisten. Wir haben alle ein Bild vor Augen, das durch die Medien gegangen ist: Ein Rentner bekommt auch in der 4. Bank kein Geld für seine kranke Frau und bricht unter Tränen zusammen. Die große Politik zur Griechenlandkrise produziert schon lange viele einzelne schwere Schicksale, die keiner sehen will.

Die Bibel weiß auch von Verschuldungen großen Ausmaßes. Und sie kennt ein Instrument, um Schuld, die dazu führt, dass einzelne nie mehr auf einen grünen Zweig kommen, zu erlassen, das sogenannte Erlassjahr. Es gilt insbesondere unter den Schwestern und Brüdern eines Volkes. Auch wenn man diese religiös motivierte Idee nicht einfach so auf die moderne Finanzpolitik übertragen kann, ist sie inspirierend. Auf solches Verhalten liegt Segen, verspricht Gott. Erinnern wir uns an einige Gedanken aus der Bibel, die den Starken ermutigen, dem Schwachen so zu helfen, dass auch er gut leben kann.

"Alle sieben Jahre sollst du ein Erlassjahr halten. So aber soll's zugehen mit dem Erlassjahr: Wenn einer seinem Nächsten etwas geborgt hat, der soll's ihm erlassen und soll's nicht eintreiben von seinem Nächsten oder von seinem Bruder; denn man hat ein Erlassjahr ausgerufen dem HERRN. Von einem Ausländer darfst du es eintreiben; aber dem, der dein Bruder ist, sollst du es erlassen. Es sollte überhaupt kein Armer unter euch sein; denn der HERR wird dich segnen in dem Lande, das dir der HERR, dein Gott, zum Erbe geben wird, wenn du nur der Stimme des HERRN, deines Gottes, gehorchst und alle diese Gebote hältst, die ich dir heute gebiete, dass du danach tust! ... Sondern du sollst ihm geben und dein Herz soll sich's nicht verdrießen lassen, dass du ihm gibst; denn dafür wird dich der HERR, dein Gott, segnen in allen deinen Werken und in allem, was du unternimmst. Es werden allezeit Arme sein im Lande; darum gebiete ich dir und sage, dass du deine Hand auftust deinem Bruder, der bedrängt und arm ist in deinem Lande. Denn der HERR, dein Gott, wird dich segnen, wie er dir zugesagt hat." (aus 5. Mose 15)

Mit freundlichen Grüßen
Birgit Niehaus, Pfarrerin

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9. Juli 2015

"Hitze" ist das Wort, was mir einfällt, während ich hier am Schreibtisch sitze und schwitze bei der Hitze. Die Hitze und das Gerede und Gestöhne darüber beschäftigt uns gerade alle nach vielen heißen Tagen und Nächten und einem Rekordwochenende mit bis zu 40 Grad im Schatten. "Hitzefrei" klingt gut bei dieser Hitze, aber das haben in der Regel nur die Schüler. Alle anderen müssen die Arbeit an heißen Tagen irgendwie aushalten und alle warmen Nächte durchstehen.
In der Bibel ist recht oft von Hitze die Rede. Denn in Israel ist es häufig so heiß wie bei uns momentan. Ein ganz berühmter Spruch, der am Ende der Sintflutgeschichte steht, lautet: "Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht." Das ist Gottes Versprechen an die Menschen und alles, was lebt: Nie wieder will Gott die Erde durch eine Flut vernichten. Immer wird es Saat und Ernte, Sommer und Winter und eben auch Frost und Hitze geben. Die Hitze gehört wie der Frost zur Bandbreite des Lebens auf der Erde.
Wer heiße Tage erlebt, sucht natürlich Schutz, Kühlung und Schatten. In einem Danklied singen die Gläubigen über ihren Gott: "Denn du bist der Geringen Schutz gewesen, der Armen Schutz in der Trübsal, eine Zuflucht vor dem Ungewitter, ein Schatten vor der Hitze, wenn die Tyrannen wüten wie ein Unwetter im Winter, wie die Hitze in der Zeit der Dürre." (Jes 25,4f)
Das Wüten der Tyrannen wird mit winterlichem Unwetter und sommerlicher Hitze verglichen. So wirken Menschen, die ihre Macht in böser Weise missbrauchen: wie eine unerträgliche Hitze. Etwas, das lästig ist und man loswerden möchte und das doch zum Leben dazugehört und immer wieder auftaucht. Wie vor der Hitze im Sommer, so sucht man vor solchen Menschen Schutz. Und Gott wird immer wieder als Hilfe und Schutz erlebt. Menschen erleben ihn wie ein Schatten vor der Hitze. Aber auch als Schutz vor dem bösen Treiben der Tyrannen.
Wenn wir die Hitze schon nicht ändern können, dann sollten wir wenigstens Schatten suchen. Und Hitze widerfährt uns noch in ganz anderer Weise als nur durch zu viel Sonne im Sommer. Doch das Gute ist: Gott ist uns ein Schatten vor der Hitze.
Mit freundlichen Grüßen
Ihre Birgit Niehaus, Pfarrerin

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2. Juli 2015

Wer will das nicht: das Leben lieben und gute Tage sehen? Oder, mit einem etwas überstrapazierten Wort gesagt: Wer will das nicht: glücklich sein? Glücklich und zufrieden zu leben, ist eine Lebenskunst, die sich offensichtlich nicht von allein versteht. Deshalb gibt es so viele Ratgeber und Literatur zum Thema Glück. Bei so vielen Ratschlägen verliert man aber schnell den Überblick. Die für mich wichtigsten Impulse für ein gutes und geglücktes Leben stehen in der Bibel. Seit Jahrtausenden werden sie angewandt und haben sich millionenfach bewährt - in vielen Ländern und Kulturen.

Wer das Leben lieben und gute Tage sehen will - dieser verheißungsvolle Satzanfang und auch das, was als Hauptsatz folgt, steht im Petrusbrief des Neuen Testamentes: "Wer das Leben lieben und glückliche Tage sehen will, der hüte seine Zunge, dass sie nichts Böses rede, und seine Lippen, dass sie nicht betrügen. Er wende sich ab vom Bösen und tue Gutes; er suche Frieden und jage ihm nach. Denn die Augen des Herrn sehen auf die Gerechten und seine Ohren hören auf ihr Gebet; das Angesicht des Herrn aber steht wider die, die Böses tun."

Wenn wir diese Sätze ernst nehmen, dann erkennen wir: Ein glückliches Leben hat nicht in erster Linie mit dem zu tun, was uns widerfährt. Uns allen passieren gute und schlimme Dinge im Leben. Ein glückliches Leben hängt wesentlich an unserem eigenen Verhalten. Und das ist steuerbar. Die spannende Frage ist: Wie verhalte ich mich zu dem, was mir im Leben passiert? Haue ich zurück, wenn mich einer schlägt, und sei es nur mit Worten? Sorge ich für Frieden oder gieße ich weiteres Öl ins Feuer? Betrüge ich Mitmenschen oder den Staat, um ein bisschen mehr für mich herauszuschlagen? Was ich tue, hat Folgen für mein Denken, mein Leben, meine Person und mein Wohlbefinden. Was ich tue, macht mich unter anderem zu dem Menschen, der ich bin. Dadurch werde ich in der Tat zu meines Glückes Schmied, wie der Volksmund schon lange weiß.

Wer seine Zunge hütet, wer sich vom Bösen abwendet, wer dem Frieden nachjagt, der sich oft genug aus dem Staube macht, der lebt ein gutes Leben und sieht schöne Tage. Sein Gewissen ist rein. Und auf einen solchen ruhen die liebenden Augen Gottes, verspricht die Bibel. An solchen Menschen hat Gott Gefallen. Seine Gebete werden gehört. Was für ein lohnendes Leben! Was für ein Glück!

Das meint und wünscht Ihnen ein glückliches Leben mit guten Tagen!
Ihre Birgit Niehaus, Pfarrerin

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25. Juni 2015

Manchmal gibt es echte Notfälle, da gibt es Menschen, die unbedingt schnell Hilfe brauchen. Davon berichtet die bekannte Geschichte vom barmherzigen Samariter, die in der Bibel steht. Ein Mann aus Samarien, in Israel ein Ausländer, ist der dritte Mensch, der an einem von Räubern zusammengeschlagenen Mann vorbeikommt. Die ersten beiden, ein Priester und ein Levit, beides fromme Menschen, die im Tempel arbeiten, gehen emotions- und tatenlos vorüber. Erst der Samariter hält an, er versorgt den Mann und bringt ihn in ein Gasthaus zur weiteren Pflege und bezahlt auch für ihn.
Schon die Kinder in der Grundschulklasse verstehen, dass der dritte es richtig macht. So funktioniert Hilfe im besten Sinne: spontan, weil man Not sieht und der andere einem Leid tut, tatkräftig, damit sich was zum Besseren wenden kann und mit Einsatz von Mitteln, sei es Geld, sei es Zeit oder was auch immer. Wir alle haben immer wieder Gelegenheiten, so zu helfen. Meistens sind wir nicht drauf eingestellt, wenn wir gefordert sind. Oft passt es nicht. Wir hätten auch Grund, wie die frommen Männer in der alten Geschichte, schnell weiterzueilen.
Doch Jesus, der die Geschichte erzählt, sagt uns: "Bleib stehen. Tu was. Das andere, was Du eigentlich erledigen müsstest, kann warten. Und wenn Du wirklich keine Zeit (mehr) hast, dann bring den hilfsbedürftigen Menschen zu einer Stelle, wo man ihm weiterhelfen kann. Es ist gar nicht so schwer, das Tun des Guten und Richtigen." Oder, wie Erich Kästner es einmal formuliert hat: "Es gibt nichts Gutes, außer man tut es!"
Mit freundlichen Grüßen
Birgit Niehaus, Pfarrerin

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18. Juni 2015

Menschen streiten und geraten aneinander. Es passiert immer wieder. Das kommt in den besten Familien vor und auch unter gläubigen Menschen. Die Apostelgeschichte berichtet zum Beispiel von einem Apostelkonzil, bei dem etliche strittige Fragen der jungen Kirche zu klären waren: Dürfen Christen Götzenopferfleisch essen? Müssen Christen wie Juden beschnitten werden? Man war unterschiedlicher Meinung und rang um Antworten, was nicht immer leicht war. Auch heute diskutieren, man könnte auch sagen streiten wir in der Kirche um wichtige Fragen: Dürfen gleichgeschlechtliche Paare gesegnet werden oder sogar heiraten? Können wir uns vorstellen, dass sie eventuell im Pfarrhaus wohnen? Mit dieser Frage musste sich gerade der Kirchenvorstand beschäftigen. Die Fragen ändern sich, nicht aber das heftige Ringen um Antworten und um eine möglichst einmütige Entscheidung.
In der frühen Kirche waren viele an der Mission beteiligt, u.a. auch Paulus und Barnabas. Die beiden verstanden sich gut und wollten eigentlich gemeinsam zu einer zweiten Missionsreise aufbrechen. Barnabas wollte zusätzlich Johannes Markus mitnehmen, was Paulus missfiel, weil er sie schon einmal verlassen hatte. Johannes Markus hatte sich also in den Augen von Paulus nicht bewährt und kam für ihn als Mitarbeiter nicht mehr infrage. Es heißt sogar, Paulus und Barnabas kamen in dieser Frage so "scharf aneinander", dass sie fortan getrennte Wege gingen. Paulus missionierte von da an mit Silas und Barnabas ging seinen Weg mit Johannes Markus weiter.
Es ist leider so: Manchmal streitet man heftig, weil man unterschiedliche Meinungen und Ansichten hat. Und obwohl man um eine Lösung ringt, kann man sich mitunter nicht einigen. Dann bleibt eigentlich nur der Weg, sich zu trennen, wenn man sich das Leben nicht weiterhin schwer machen will. In der Bibel ist das ein gangbarer Weg. So wie bei Paulus und Barnabas. Die Bibel erzählt diese Begebenheit relativ nüchtern. Und auch heute treffen Menschen solche Entscheidungen. Sie trennen sich, wenn ein gemeinsamer Weg gar nicht mehr möglich ist. Paulus und Barnabas machen es uns vor. Auf getrennten Wegen geht das Leben trotzdem weiter.

Mit freundlichen Grüßen
Birgit Niehaus

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11. Juni 2015

Am vor uns liegenden Wochenende feiert die Feuerwehr in Mainaschaff Geburtstag. 150 Jahre gibt es sie nun schon in Mainaschaff. Das ist wirklich ein Grund, um zu feiern und dankbar zu sein. Und unser Glückwunsch zum Geburtstag gilt nicht nur der Feuerwehr allgemein, sondern insbesondere den vielen Feuerwehrkameradinnen und -kameraden, die sich freiwillig, ehrenamtlich und mit viel Zeit und Engagement einsetzen, um anderen zu helfen. Sie retten, sie löschen, sie bergen und sie schützen, so die ureigenen Tätigkeiten der Feuerwehr. Dafür üben sie und bilden sich ständig fort. Schnell sind die Feuerwehrleute zur Stelle - nicht nur bei Feuer, sondern auch bei anderen Notsituationen wie Überschwemmungen, Unfällen und wenn Menschen oder Tiere sich in eine missliche Situation gebracht haben. Auch als Ersthelfer sind sie heute oft im Einsatz. Weil all diese Aufgaben notwendig sind, um manche Not abzuwenden, kann sich ein Ort glücklich schätzen, wenn er eine Feuerwehr mit guter Ausstattung und tapfer zupackenden Feuerwehrmännern und -frauen hat. Und deswegen kann man auch Mainaschaff beglückwünschen zu ihrer zugleich alten und jung gebliebenen Feuerwehr. Die Feuerwehrleute tun, was für den christlichen Glauben zentral ist, nämlich Gott und den Menschen lieben. Will man dieses Doppelgebot der Liebe, das Jesus uns weitergibt und das bereits aus dem Alten Testament stammt, übersetzen in Feuerwehrsprache, dann kommt das klassische Feuerwehrmotto dabei heraus: Gott zur Ehr, dem Nächsten zur Wehr.

Mit freundlichen Grüßen
Birgit Niehaus, Pfarrerin

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1. Juni 2015

Jetzt kommen sie wieder, all die Sonntage, die in der Kirche "Sonntag nach Trinitatis" heißen, vom ersten bis zum letzten. Je nachdem, wann Ostern liegt, sind es pro Jahr etwa 20 bis 22 Sonntage. Fast ein halbes Jahr haben wir Trinitatiszeit. Trinitatis - das ist ein schwieriges Wort und es steht für eine schwer zu erklärende theologische Sache. Ich probiere es trotzdem mit wenigen Worten.
Im Christentum reden wir nicht nur von Gott, dem Vater im Himmel. Wir beten auch zu Jesus und verehren ihn als Gott und genauso ist es mit dem Heiligen Geist. Wir eröffnen viele Gottesdienste im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Und trotzdem sind diese drei Genannten nicht drei Götter, sondern nur einer, ein Gott, der sich in unterschiedlicher Weise zeigen kann: als Vater, als Sohn und als Geist. In den ersten Jahrhunderten haben die Theologen lange über diese drei diskutiert und sich vor allem zu zwei Seiten hin abgegrenzt: Die drei göttlichen Personen sind nicht drei Götter; das war die erste Grenze. Und der Geist und der Sohn sind nicht untergeordnet unter einen Vatergott; das war die zweite Grenze. Sondern richtig ist: Alle drei sind gleichwertig, sie sind in gleichberechtigter, aber doch unterschiedlicher Weise Gott und sie sind einig und eins. Diese theologische Lehre heißt Trinitätslehre. Die in sich einige Dreiheit von Vater, Sohn und Heiliger Geist nennt man lateinisch Trinität und auf Deutsch Dreieinigkeit oder Dreifaltigkeit. Und es gibt an diesem Punkt keine Unterschiede zwischen katholischer und evangelischer Lehre.
Die Trinitätslehre ist das Ergebnis einer langen theologischen Diskussion; sie ist eine ziemlich geniale Denkleistung und keine Spitzfindigkeit. Wichtig ist diese Lehre für unseren christlichen Glauben. Denn sie sagt Wesentliches über unseren Gott - und auch über uns - aus. Sie hält fest: Gott ist kein Alleinherrscher, dem sich alle unterzuordnen hätten, sondern Gott ist ein in sich soziales Wesen und immer schon auf Beziehung angelegt. Der Vater ist bezogen auf den Sohn und eins mit dem Sohn und umgekehrt; der Sohn verspricht und sendet den Geist, der ihn auf Erden vertritt. Mit Seufzen tritt der Geist für uns ein vor dem Vater. So gibt es viele innergöttliche Beziehungen und auch Beziehungen nach außen zur Welt und zum Menschen hin. Man spricht deshalb von einer sozialen Trinitätslehre. Gott ist in sich ein soziales Wesen. Es ist sich selbst nicht genug als ein einzelner. Es gehört zu ihm, nicht allein sein zu wollen. Deshalb ist er in sich schon eine Dreiheit und will mit den Menschen zu tun haben.
Wenn wir Menschen nun als Bild Gottes erschaffen wurden und ihm ähnlich sind, wie die Bibel behauptet, dann ist dieses Soziale eben auch in uns angelegt. Adam, der erste Mensch, hat sich nach einem ebenbürtigem Gegenüber gesehnt und war erst froh, als der zweite Mensch, Eva, da war. Wir merken selbst, dass wir bezogen sind auf andere Menschen. Wir können nicht gut lange allein sein. Wenn wir über extrem lange Zeiträume ohne Kontakt zu anderen leben müssen, verkümmern wir. Wir sind als Menschen soziale Wesen - so wie unser Gott! In überschaubaren Gruppen oder Familien von wenigen Personen fühlen wir uns wohl; das passt zu unserer menschlichen Natur. In riesigen Gruppen ist es schon nicht mehr möglich, wirklich auf alle gut bezogen zu sein. Trinitatis, diese göttliche Dreiheit als Einheit macht deutlich, wie wesentlich andere um mich herum zu mir gehören. Es sollen und können nicht Massen sein, aber doch zwei, drei, vier andere Menschen, die wirklich eng mit mir verbunden sind, die machen mein Leben sozial und rund.
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes - das ist gut!
Mit freundlichen Grüßen
Birgit Niehaus, Pfarrerin

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29. Mai 2015

Der Showmaster Thomas Gottschalk ist am 18. Mai 2015 65 Jahre alt geworden. Das ist kaum jemandem verborgen geblieben. Denn es gab in der Presse verschiedene Artikel und eine bunte Fernsehshow anlässlich seines Geburtstags. Auch hat er selber pünktlich zu diesem Datum seine Lebenserinnerungen unter dem Titel "Herbstblond" herausgegeben. Die Korrespondentin Barbara Just von der Katholischen Nachrichtenagentur hat einen interessanten kleinen Artikel über Gottschalk geschrieben, der auch am 14. Mai im Main-Echo erschienen ist. Sie zeichnet darin vor allem Gottschalks Aussagen zu seinem katholischen Glauben nach. Dieser Glaube hat ihn ein Leben lang geprägt und Halt gegeben. Von religiöser Überheblichkeit fehlt bei Gottschalk jede Spur. Denn bei den Armen im Geiste, bei den Zöllnern, Sündern und den verirrten Schafen in Gottes Herde möchte er sich am liebsten einreihen. Das sind all die, auf die man zurzeit Jesu (und auch heute noch) verächtlich herabgeschaut. Jesus hat sich gerade diesen Menschen zugewandt und ist damit auf Unverständnis bei den bedeutenden Vertretern der Religion gestoßen. Auch deswegen ist Jesus von Anfang an umstritten. Aber gerade dieses Andere und Anstößige seines Handelns macht seitdem den Charme der christlichen Religion aus. Das hat Gottschalk gut begriffen. Jesus sagt selber: "Nicht die Gesunden bedürfen des Arztes, sondern die Kranken." Deshalb geht Jesus zu denen, die Probleme haben, die verloren sind und sich verirren, zu den Sündern eben. Und dass diejenigen, die in die Irre gegangen sind und von Jesus zurückgeholt werden, dies - wie Gottschalk - als große Gnade empfinden, ist schon zur Zeit Jesu offensichtlich. Als eine stadtbekannte Sünderin Jesus einmal salbt und er sich das gefallen lässt, sind alle entsetzt. Doch Jesus verteidigt die Frau und meint, wem viel vergeben werde, der zeige auch große Dankbarkeit. Eines jedoch ist Jesus wichtig und das sieht Gottschalk etwas anders. Jesus geht zu den Sündern und verirrten Schäfchen, um sie dann auf einen anderen, einen richtigen Weg zu schicken. Sie sollen hinfort besser leben und Sünden vermeiden. Gottschalk möchte aber lieber dauerhaft ein verirrtes Schaf bleiben. Doch an dem Punkt irrt er und bleibt so verirrt und verwirrt uns. Denn eigentlich ist es so: Das verirrte, aber auf den rechten Weg gebrachte Schaf ist dankbar und will seinem Hirten gefallen und Gutes tun. Es möchte gern ein folgsames Schaf sein und Jesus nachfolgen. Aber trotz dieses Willens kann es natürlich wieder scheitern und wird sich gelegentlich bei den verirrten Schafen einfinden.

Mit freundlichen Grüßen
Birgit Niehaus, Pfarrerin

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21. Mai 2015

Wir feiern Pfingsten! Aber das Pfingstfest hat es schwer im Gegensatz zu den anderen christlichen Hochfesten. Die meisten Menschen feiern Pfingsten weder zuhause noch in der Kirche.

Weihnachten zu feiern fällt uns leicht. Fast alle tun es, Christen und auch Nichtchristen. Gott fängt in einem kleinen Kind im Stall von Bethlehem mit uns Menschen neu an; das rührt selbst den Kirchenfernsten. Beim Krippenspiel der Kinder wird diese Geschichte lebendig. Weihnachten ist das Fest des Kindes, das Fest der Familie, des Friedens und der Liebe. Unzählige weihnachtliche Symbole wie Engel, Sterne, Glocken, Kugeln umgeben uns zur Advents- und Weihnachtszeit und machen Weihnachten begreifbar .

Ostern gilt als das höchste Fest, eine Feier des Lebens und des Lichtes gegen alle dunklen Todesmächte, die uns quälen. Ostern, das ist ein starkes Stück christliche Identität. Auch die Natur lebt es uns in jedem Frühling vor, wie beeindruckend das ist: neues Leben nach der winterlichen Ruhe und Dunkelheit. Und wieder helfen uns sichtbare Symbole zur Osterzeit: das Kreuz, ein Ostergarten, der Osterhase, die Ostereier und frische Blumen.

Pfingsten hat es dagegen richtig schwer. Viele wissen nicht einmal, was wir an Pfingsten feiern, nämlich das Kommen des heiligen Geistes und den Geburtstag der Kirche. Die Menschen haben frei und schwirren überall umher; nur wenige sind in der Kirche anzutreffen. Wir haben kein Symbol in der Hand, mit dem wir unsere Wohnungen schmücken könnten. Der Heilige Geist lockt uns nicht besonders. Unsichtbar und fast unscheinbar fristet er sein Dasein in der Kirche.

Aber wir brauchen dieses Fest. Unbedingt! Wir dürfen es uns mit Pfingsten nicht so leicht machen. Denn wir sind angewiesen auf diesen fremden und unsichtbaren Gast namens Heiliger Geist. Er möge wohnen in unseren Mauern und in unseren Herzen. Ohne ihn wären wir verloren – als einzelne und noch mehr als Gemeinschaft. Gottes Geist hat ja erst ermöglicht, dass aus einzelnen zerstreuten Christus-Gläubigen eine Kirche geworden ist, eine große und starke Gemeinschaft, die es bis heute weltweit gibt. Kirche gibt es nicht, weil wir alle so toll wären und unsere Schwestern und Brüder uns immer überzeugen. Wir verdanken allein dem Geist Gottes, dass Kirche lebt und lebendig ist und dass sich in ihr immer noch viele Be-geist-erte finden! Weil Gottes Geist uns zusammenbringt und zusammenhält, weil er uns immer wieder neu begeistert für die Sache Jesu, nur deshalb gibt es Kirche! Diese Begeisterung können wir nicht selber machen, die bringt Gottes Geist mit sich. Das feiern wir Pfingsten.

Mit freundlichen Grüßen
Birgit Niehaus, Pfarrerin

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18. Mai 2015

"Christi Himmelfahrt" feiern wir am Donnerstag. Himmelfahrt, damit können viele in unserer Gesellschaft in religiöser Hinsicht nichts mehr anfangen. Viele freuen sich über einen zusätzlichen freien Tag oder ein verlängertes Wochenende. Längst ist der Tag zum Vatertag mutiert. Ein Tag, an dem die Väter geehrt und gefeiert werden oder sie sich bisweilen auch selber feiern mit viel Alkohol.
Natürlich ist auch der christliche Himmelfahrtstag ein Vatertag, denn Jesus macht sich nach seiner Erdenzeit auf den Weg zu seinem Vater. Und der Vater wohnt jenseits der Erde, eben im Himmel. Himmel ist etwas Wunderbares; Himmel ist der Bereich Gottes, für uns auch der Ort, wo die Verstorbenen nach ihrem Leben auf Erden bei Gott sind.
Der Himmelfahrtstag versucht, diese Bewegung von der Erde in den Himmel bewusst zu halten. Das ist notwendig. Denn wir modernen Menschen sind sehr erdverhaftet, wir erwarten den Himmel auf Erden. Hier soll unser ganzes Glück passieren. Doch das überfordert die Erde und uns. Denn die Erde bietet uns keinen Himmel, sondern ein sehr durchwachsenes Leben mit schönen und schwierigen Seiten. Die Christen haben von Anfang an anders gedacht. Ihre Erwartung ist stets auf den Himmel gerichtet gewesen. Auch für Jesus war die Erde nur eine Station mit Freud und Leid, und jetzt ist er im Himmel und begleitet uns auf Erden durch seinen Geist, bis wir einst bei ihm sein werden.
Himmelwärts gehen deshalb unsere Gedanken am Himmelfahrtstag, aber eigentlich auch an jedem anderen Tag. Die Erde ist schön und das Leben hier trotz aller Herausforderungen und leidvollen Erfahrungen sinnvoll und gut, aber sie ist nur eine Station. Das Erdenleben ist nicht alles, was wir erwarten. Wir hoffen auf mehr. Das große Ziel heißt für uns Christen Himmel. Dahin sind wir unterwegs.

Mit freundlichen Grüßen
Birgit Niehaus, Pfarrerin

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7. Mai 2015
Wenn man diese Maitage zurzeit bewusst erlebt - und man kann sich dem kaum entziehen -, wenn man die Blütendüfte riecht und die Bäume und Blumen sieht, wie sie sich in Windeseile entwickeln, wenn man die Wärme wohltuend spürt, dann versteht man, warum der Mai als Wonnemonat gilt. An Üppigkeit und Pracht überwältigt er einen nach dem langen Winter und dem zaghaft begonnenen Frühling. Und das jedes Jahr neu. Es fällt nicht schwer, fröhlich mit einzustimmen in den etwa 400 Jahre alten und dennoch frisch klingenden Gesang: 

Wie lieblich ist der Maien aus lauter Gottesgüt, des sich die Menschen freuen, weil alles grünt und blüht! Die Tier sieht man jetzt springen mit Lust auf grüner Weid, die Vöglein hört man singen, die loben Gott mit Freud.
Herr, dir sei Lob und Ehre für solche Gaben Dein. Die Blüt zur Frucht vermehre, lass sie ersprießlich sein. Es steht in Deinen Händen, Dein Macht und Güt ist groß, drum wollst Du von uns wenden Mehltau, Frost, Reif und Schloss (=Hagel).
Herr, lass die Sonne blicken ins finstre Herze mein, damit sich’s möge schicken, fröhlich im Geist zu sein, die größte Lust zu haben allein an Deinem Wort, das mich im Kreuz kann laben und weist des Himmels Pfort.
Mein Arbeit hilf vollbringen zu Lob dem Namen Dein, und lass mir wohl gelingen, im Geist fruchtbar zu sein; die Blümlein lass aufgehen von Tugend mancherlei, damit ich mög bestehen und nicht verwerflich sei.

Frohe und wonnige Maitage wünsche ich Ihnen!
Mit freundlichen Grüßen
Birgit Niehaus, Pfarrerin

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30. April 2015

Hunderte von Menschen mussten im Mittelmeer sterben (fast 2000 Menschen allein in diesem Jahr), bis alle aufgewacht sind und auch die zuständigen Politiker erkannt haben, dass sie handeln müssen. Es wäre verantwortungslos und zynisch, weiterhin teilnahmslos zuzuschauen bei den Flüchtlingsdramen, die sich vor den Toren des zivilisierten Europa ereignen. Noch am Tag, bevor weitere 700-950 Menschen umgekommen sind, hat der Journalist Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung deutliche und auch recht harte Worte gefunden, die an die Sprache der Propheten im Alten Testament erinnern: "Das Rettungsprogramm 'Mare Nostrum', das Italien nach der Katastrophe von Lampedusa begonnen hatte, ist beendet worden. Die EU hat sich geweigert, es zu finanzieren. Die Kosten für das Rettungsprogramm hätten denen entsprochen, die demnächst für den Gipfel der Staats-und Regierungschefs in Elmau aufgewendet werden müssen. Der dauert zwei Tage. Mit dem Geld könnte man 365 Tage Rettung organisieren. Sind das die Wertigkeiten, die in Europa gelten? Diese Union tötet; sie tötet durch Unterlassen, durch unterlassene Hilfeleistung."
Gut, dass nun endlich weitere Maßnahmen beschlossen wurden und dass neue Gelder fließen werden, um Flüchtlinge auf dem Meer zu retten und um Wege zu finden, dass sie diesen gefährlichen Fluchtweg nicht nehmen müssen. Und neben den großen Maßnahmen machen sich auch einzelne Menschen mit Schiffen auf dem Weg, um zu helfen.
Flucht in ein fremdes Land und Fremdsein in einem anderen Land hat es aus verschiedenen Gründen wie Hunger, Krieg und Verfolgung immer schon gegeben. Flüchtlinge waren zu jeder Zeit schutzlos und deswegen besonders schutzbedürftig. Abraham und Jakob, die Erzväter im Alten Testament, sind Fremde in Ägypten gewesen; sie flohen dorthin aus Hunger. Und weil es Zeiten gab, in denen ihre Nachfahren in Ägypten unterdrückt und schlecht behandelt wurden, erinnert ein biblisches Gebot daran: "Die Fremdlinge sollst du nicht bedrängen und bedrücken; denn ihr seid auch Fremdlinge in Ägyptenland gewesen." Interessant ist die Begründung: Du selbst warst schon einmal in der gleichen Lage oder du könntest in ein solche Lage kommen. Diese Sicht können viele in unserer Gesellschaft sicher nachvollziehen. Denn in unserem Land leben viele, die einmal fliehen oder aussiedeln mussten, vor ca 70 Jahren am Ende des 2. Weltkrieges oder später. Mag sein, dass auch deswegen das Verständnis für Flüchtlinge bei uns recht groß ist.
Jesus selber war schon als Baby mit seinen Eltern auf der Flucht, weil er von Herodes verfolgt wurde und sein Leben in Gefahr war. Im Gleichnis vom Weltgericht sagt Jesus: "Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen." Wer einen Fremden aufnimmt, nimmt Jesus auf und wird sein Reich erben. Klare Worte, menschlich, christlich.

Mit freundlichen Grüßen
Birgit Niehaus, Pfarrerin

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23. April 2015

Zwei fast widersprüchliche Schlagzeilen vom 15. April: Zunächst Spiegel-online: "'65-Jährige bekommt Vierlinge' - diese Sensationsgeschichte ist ein Beispiel für falsch verstandenen Fortschritt: Wir wollen Kontrolle über unser Leben gewinnen. Und verlieren dabei unsere Würde." Schon an den Tagen vorher war diese Geschichte von RTL im Fernsehen umfangreich dargestellt worden, mit Interview und Homestory bei der werdenden Mutter.
Und dann tituliert die Frankfurter Allgemeine Zeitung am selben Tag, auch im Netz: "Deutschland hat niedrigsten Kinderanteil in der EU. Was den Anteil an Kindern in der Bevölkerung angeht, war Deutschland im vergangenen Jahr Schlusslicht in Europa. Auch wenn selbst hier die Zahlen weiter sinken: Im Jahr 2050 wird es in zwei Ländern noch weniger Kinder geben." Seit Jahren wird angeprangert, dass die Deutschen zu wenige Kinder bekommen. Alle Maßnahmen der Familienpolitik scheinen nicht zu fruchten, zumindest nicht im Westen der Republik.

Ausreichend Kinder kriegen, damit eine Gesellschaft nicht ausstirbt oder veraltert, und das ist einem für Frauen biologisch günstigen Zeitraum - also etwa im Alter von ca 18 bis 35 Jahren (bei Männern wird das hohe Alter bei der Zeugung selten kritisiert) - das war die längste Zeit der Menschheit üblich. Man hat sich wenige Gedanken übers Kinderkriegen gemacht, es gehörte einfach zum Leben dazu. Schwangerschaften konnte man ohnehin kaum verhindern, also wurden Kinder geboren, wie sie gezeugt wurden, in der Ehe und außerhalb, in extrem jungen Jahren, dann allerdings oft ungewollt, und mitunter auch überraschend spät, so dass es den betroffenen Eltern schon peinlich war. Kaum einer hat sich in der Regel bewusst für noch bewusst gegen Kinder entschieden.

Seit es die Pille andere Verhütungsmethoden gibt und alle darum wissen, seit Menschen aufgeklärt und Frauen emanzipiert sind, seitdem planen Menschen zunehmend bewusst ihre Familien und die Anzahl ihrer Kinder. Manche Menschen, immer mehr sogar, bekommen auch gar keine Kinder. Das nicht nur, weil sie keine Kinder wollen, sondern weil oft der richtige Partner zum rechten Zeitpunkt fehlt. Heutzutage ist es üblich, dass ein Paar oder mitunter auch eine Frau alleine bestimmt, wann und wie viele Kinder in ihr Leben kommen sollen. Für die Paare, die Schwierigkeiten mit ihrer Familienplanung haben, gibt es inzwischen allerorts Kinderwunschkliniken und -praxen, die helfen. Vieles ist möglich wie Befruchtung im Reagenzglas und anschließendes Einsetzen der befruchteten Eizelle in die Frau. All das klingt medizinisch und ziemlich unromantisch, aber wer nur auf diesem Wege ein Kind bekommen kann, macht das möglich, und wenn das Kind erst geboren ist, sind die komplizierten Wege zu diesem Wunschkind nicht mehr wichtig. Es ist in der Tat so: Immer mehr kontrollieren und bestimmen Menschen ihr Leben selbst. Der Mensch will alles in der Hand haben und nichts dem Zufall überlassen. Das gilt auch für den Kinderwunsch. Und das wird als fortschrittlich und positiv empfunden. Denn so kann man viele Möglichkeiten ausschöpfen.

Aber verlieren wir dadurch unsere Würde, wie der "Spiegel" sagt? Diese Formulierung ist unpassend, finde ich. Denn keiner verliert seine Würde, wenn er sich Kinder wünscht und sie bekommt. Selbst eine 65jährige Frau, die den für viele nicht nachvollziehbaren Wunsch hat, noch einmal Mutter zu werden, verliert dadurch nicht ihre Würde. Es mag total fremd für uns sein und es kommt einem unnatürlich vor (und ist ja auf natürlichem Weg auch nicht möglich), aber das ändert nichts daran: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das sagt unser Grundgesetz. Und das heißt auch: Die Würde kann ein Mensch nicht verlieren, egal, was er oder sie tut. Die Würde liegt vor allen Dingen nicht in den Augen des kritischen Betrachters, auch nicht in denen des Medizinethikers. Und schon gar nicht in den Augen eines Journalisten. Deswegen sollten wir vorsichtig sein mit solchen Verunglimpfungen.

Aber die Hauptfrage in alledem - jenseits von diesem Einzelfall - ist doch: Sollen wir und dürfen wir alles machen, was machbar ist und was einige sich wünschen? Das ist eine ethische Frage, die aber grundsätzlich für alle modernen Technologien gilt, nicht nur für die Fortpflanzungsmedizin. In der Ukraine, wo die 65jährige Frau behandelt wurde und so vierfach schwanger wurde, sieht man das anders und anscheinend lockerer als in der Bundesrepublik, wo im Bereich Medizinethik enge und gut durchdachte Grenzen gesetzt werden. In Deutschland wäre so ein Fall aus mehreren Gründen nicht denkbar. Aber wir leben in einer vernetzten globalisierten Welt und deshalb wird von einzelnen getan und bezahlt, was machbar ist und irgendwo auf der Welt möglich gemacht wird. Einheitliche ethische Standards und Begrenzungen des Machbaren werden damit fast unmöglich. Deswegen wird es in Zukunft gelegentlich solche Fälle geben, wo eine Frau spät Mutter wird, deutlich später jedenfalls, als die Natur es vorsieht. Und da bei künstlichen Befruchtungen oft mehrere Eier eingesetzt werden, werden Mehrlingsschwangerschaften ebenso zunehmen.

Auch frühere Zeiten hatten manchmal Mühe mit dem Kinderkriegen. Es galt meist als großes Unglück, keine Kinder zu bekommen. Abraham zum Beispiel, unser Vorbild im Glauben, war nicht immer so glaubensstark wie zu dem Zeitpunkt, als er aufbrach und in ein anderes Land zog, nur weil Gott es ihm sagte. Gott hatte ihm einen Sohn und Nachkommen versprochen, so viele, wie Sterne am Himmel. Aber Abraham wurde alt und älter und seine Frau Sara ebenso und Gottes Verheißung erfüllte sich nicht. Da hat auch Abraham auf seine Weise - und wie es damals üblich war -, dem Kinderwunsch nachgeholfen. Er hat die Magd seiner Frau geschwängert, denn so galt dieses Kind als seines. Aber diese Verfahrensweise hatte problematische Folgen. Die beiden Frauen wurden zu Rivalinnen und schließlich hat Abraham die Magd mit ihrem Sohn in die Wüste gejagt. Sehr spät und unerwartet haben Abraham und Sara dann ihren von Gott versprochenen Sohn Isaak bekommen, so spät, dass es nach allen Regeln der Biologie auch damals ein Unding war. Als Sara hörte, dass sie in hohem Alter schwanger werden sollte, lachte sie, nicht vor Glück, sondern eher vor Verlegenheit, weil es total lächerlich und unmöglich für sie klang. Doch es wurde wahr; sie bekam als alte Frau mit Abraham einen Sohn und hatte dann Grund zum echten Lachen und Freuen.
Die Bibel hat also Erfahrung mit alten Eltern, die ihre seltene und als seltsam empfundene späte Elternschaft als Segen und von Gott geschenkt betrachteten. Natürlich gab es damals noch keine Reproduktionsmedizin, aber es gab dennoch ungewöhnliche Situationen.

Und trotzdem gilt: Jedes Leben ist gesegnet und schützenswert. Und so werden auch die 65jährige Schwangere und ihre vier Kinder bestmöglich betreut und, wenn sie überlebensfähig sind, ihr Leben so normal wie möglich leben. Und irgendwann wird keiner mehr nach dem Alter der Mutter und den Umständen ihrer Zeugung fragen.

Mit freundlichen Grüßen
Birgit Niehaus, Pfarrerin

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16. April 2015

Die Osterferien sind zu Ende. Für alle hat in dieser Woche wieder der Alltag begonnen. Der Sprung vom langsamen Ferienmodus in das schnelle Arbeitstempo fällt vielen nicht leicht. Deshalb gilt in Produktionsbetrieben der Montag als störanfällig. Den Rhythmus von Ferien- und Arbeitszeiten oder zumindest von freien Tagen - bei den meisten am Wochenende - und Werktagen ist uns vertraut. Er erscheint uns so selbstverständlich, dass wir gar nicht für möglich halten, dass er nicht mehr da ist. Aber in anderen Kulturen geht es sehr wohl anders zu. Und es gibt Systeme wie den Kapitalismus, der diesen Rhythmus gerne ausschalten würde (und es zum Teil schon tut), um rund um die Uhr zu produzieren und "Geld zu machen". Der bewährte Rhythmus von Arbeiten und Ruhen ist eine der "besten Erfindungen" unserer Kultur, finde ich, und er geht letztlich zurück auf die Schöpfungsgeschichte im Alten Testament und auf den Sabbat als unumstößlichen wöchentlichen Ruhetag im Judentum. Sozusagen ausgedacht von Gott und jahrtausendelang praktiziert. Die christliche Religion hat das übernommen, allerdings hat sie den Sabbat als wöchentlichen Feiertag durch den Sonntag als den Auferstehungstag Jesu ersetzt.
Erinnern wir uns: Jesus wurde am an einem Donnerstagabend festgenommen und starb an einem Freitag; das war der Tag vor dem jüdischen Sabbat. Einen wirklich kurzen Prozess hat man ihm gemacht; noch vor dem Sabbat hat man ihn in eine Grabkammer gelegt und das Grab verschlossen, damit alles vor dem Ruhetag "erledigt" ist. Danach kam der Sabbat, wo nach jüdischer Sitte keiner etwas tun durfte, auch nicht zum Grab gehen oder Jesus salben. Als der Sabbat vorbei war, machten sich am ersten Arbeitstag der neuen Woche die Frauen auf den Weg, um Jesus zu salben. Wir wissen, wie es weiterging. Statt einen Toten zu salben, sahen die Frauen das leere Grab und es begegneten ihnen ein Engel und schließlich der auferstandene Jesus. Ostern fand statt.
Bemerkenswert und spannend: Nicht am heiligen Sabbat, am hohen religiösen Ruhetag, ist den Frauen und Jüngern der auferstandene Herr begegnet, sondern zu einem Zeitpunkt, als der Alltag wieder losging, am Wochenbeginn. Ostern zeigt: Auferstehung findet im Alltag statt, mitten im Leben. Eben dann, wenn die Ruhezeiten zu Ende sind und wir zur Arbeit gehen. Dann, wenn wir unsere Kräfte einsetzen für andere. Dann, wenn wir beschäftigt sind und gar nicht mit Gott rechnen. Dann, wenn wir trauern und der Blick begrenzt ist. Dann will uns Jesus begegnen. Nicht mehr in leiblicher Gestalt, wie beim ersten Osterfest, sondern durch seinen Geist, den er uns als Tröster geschickt hat. Oder durch Brot und Wein. Oder in einem Menschen, der uns als ein Botschafter Gottes begegnet und uns gut tut. Jesus hat versprochen, alle Tage bei uns zu sein - und alle Tage meint vor allem auch alle unsere Alltage. Denn im Alltag geben wir viel und fühlen wir uns oft ausgelaugt. Im Alltag gibt es Arbeit, Ärger und wenig Ruhe. Da brauchen wir unbedingt Kraftquellen und Erfahrungen, die uns helfen, aufzustehen und weiterzumachen.
In diesem Sinne dichtete Marie Luise Kaschnitz: "Manchmal stehen wir auf / Stehen wir zur Auferstehung auf / Mitten am Tage / Mit unserem lebendigen Haar / Mit unserer atmenden Haut." In solchen Momenten fühlen wir uns lebendig, neu belebt und leistungsfähig oder, wie Kaschnitz formuliert, "vorweggenommen in ein Haus aus Licht".
Ich wünsche Ihnen solche belebenden Auferstehungserfahrungen mitten im Alltag. Nicht vergessen: Ostern findet nicht nur einmal im Jahr statt, auch nicht nur einmal in der Woche, am Sonntag, dem Auferstehungstag. Sondern Auferstehungserfahrungen gibt es mitten im Alltag, unerwartet und immer wieder.
Mit freundlichen Grüßen
Birgit Niehaus, Pfarrerin

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09.04.2015

O S T E R N buchstabieren
O
Ostern fängt mit O an. O! Welch ein Staunen, Entsetzen, Erschrecken. Mit allem haben die Frauen gerechnet, aber nicht mit dem leeren Grab, nicht mit dem auferstandenen Herrn. Sie erschrecken, sie denken zunächst das Schlimmste und fürchten sich. Sie können es kaum fassen. O, ist er wirklich auferstanden?! Stimmt, was der Engel sagt? Ja? Ja! O! O happy day. O glücklicher Tag. Das Grab ist leer. Und Jesus lebt.
STERN
Ein Stern verbirgt sich in dem Wort Ostern, das ist Zufall. Aber schön. Mit den Sternen hat die Bibel Erfahrung. Schöne Sterngeschichten kennt sie. Am Anfang hängt Gott die Sterne wie Laternen an den Himmel, damit es nachts nicht so dunkel ist. Wir freuen uns an ihnen bis heute und singen fröhlich mit: "Weißt du wie viel Sternlein stehen an dem blauen Himmelszelt?" Natürlich kennen wir alle den berühmtesten Stern, den Stern von Bethlehem, der auf Jesus hinweist. So beginnt die Jesusgeschichte für die Weisen, mit einem Stern, der sie in Bewegung bringt, damals, am Anfang, an Weihnachten. Dann erinnern wir uns an die Sterne am Himmel, die Abraham sich anschaut, während Gott zu ihm sagt: "Wie die Sterne am Himmel, so zahlreich sollen deine Nachkommen sein." Einer von ihnen ist Jesus und einer bist du. O Stern, du verbirgst dich in unserem Wort für das wichtigste christliche Fest. Und trägst heimlich die alten Sternengeschichten hinein in das leere Grab. O-stern.
S
S wie Sonntag. Der dritte Tag nach dem schwarzen Tag, dem Tag der Kreuzigung. Eigentlich ein Wochentag, der erste Tag nach dem jüdischen Sabbat. Ostersonntag, da ist es passiert: Jesus ist auferstanden. Dieser Tag war so bemerkenswert, dass er schon bald im Christentum den Sabbat als Feiertag ablöste. Jeder Sonntag ist seit Ostern ein kleiner Ostertag. Auferstehungstag. Sonntag. Sonnentag. Ein Tag des Lichts, der es hell macht in unserem Leben, der uns zu Ruhe kommen lässt und uns zum Licht führt. Ohne Sonntage voller Licht und guter Worte, ohne geruhsame Ruhetage wäre das Leben nur Mühe und Arbeit.
T
T wie Teufel und trostlose Trauer; tonnenschwer liegt sie auf unseren Seelen. Der Tod von Jesus, sein Leid, der Tod von anderen Menschen, die uns der Krebs, eine andere böse Krankheit, das Alter oder ein Unfall genommen hat, kommt uns in den Sinn. Oder ein Pilot, der 150 Menschen in den Tod flog. Der Tod begleitet uns im Leben, wir sind ihm hilflos ausgeliefert. Es ist schwer, ihn zu ertragen. Tragisch, wer ihm begegnet. Aber der Tod, die Trauer sind eigentlich beendet an Ostern. Sind entmachtet für immer. Tod und Teufel sollen doch zum Teufel gehn. Denn jetzt kommt ER.
ER
ER steckt drin. ER ist es. ER, auf den so viele Generationen gewartet hatten. ER ist der Messias, der Gottessohn, der Auferstandene. ER wendet die Weltgeschichte, teilt sie in eine Zeit vor ihm und nach ihm. Alles ändert sich mit ihm. ER ist bei uns bis ans Ende aller Zeiten. Und ER beendet die Zeiten, irgendwann am Ende der Zeit.
E
E wie Energie, Energie geht von Ostern aus. So viel Energie, dass ohne Ostern das ganze Christentum nicht wäre und nicht verstehbar wäre. Ohne Ostern keine Veränderung, keine Auferstehung, keine Hoffnung, kein christlicher Glaube, kein christliches Abendland. Eine Welt ohne Ostern ist kaum vorstellbar. Welche Energie ging und geht weiterhin vorn Ostern aus.
R
R wie Retter. Oder R wie Rex, das heißt König. Jesus ist etwas Besonderes. Das R wie König steht auf des Kreuzes Aufschrift: König (Rex) der Juden. Ein besonderer König ist Jesus, der uns dient, der sich für uns opfert, der zum Dienen ermutigt. So rettet er uns und nur so retten wir die Welt, indem wir einander dienen.
N
N wie Nazarener, Mann aus Nazareth. Mit ihm fing alles an, mit dem Nachfahren von David. Aber er ist nicht der Mann aus Nazareth geblieben. Mehr wurde er, ist er. Gottes Sohn. Jesus von Nazareth ist Jesus Christus, der Gesalbte. Nach Ostern ist alles anders. O. Noch immer staunen wir. Und freuen uns, dass Gott solches für uns getan hat in seinem Sohn. O - fangen wir noch einmal an mit dem Buchstabieren...

Mit freundlichen Grüßen
Birgit Niehaus, Pfarrerin

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31.3.2015

Warum hat man Jesus so schlecht behandelt und ihn getötet? Das fragen mich meine Zweitklässler in der Schule. Diese Frage ist ganz ähnlich denen, die in dieser Woche seit dem Absturz des Germanwings-Flugzeugs überall gestellt werden: Wieso macht ein Mensch, der gut ausgebildet wurde und als freundlich galt, so etwas: 149 Menschen und sich selbst bewusst in den Tod stürzen? Was hat ihn getrieben? Die Frage nach dem Bösen und nach dem Leid, auch nach dem Leiden von Unschuldigen beschäftigt uns, vor allem in der Passionszeit und jetzt in der Karwoche.
Jesus ist als ein guter und unschuldiger Mensch gestorben. Auch die vielen Toten in den französischen Alpen haben nichts Schlimmes getan. Beide Male stehen wir fassungslos davor. "Eine schier unfassbare Dimension" habe das, meinte unsere Kanzlerin Angela Merkel zum Absturz der Maschine. Unglaubliches Leid kommt über viele Familien; das Entsetzen und die Trauer sind groß, aber auch das Mitgefühl vieler Menschen in Deutschland, Frankreich und Spanien und weltweit.
Mit einem technischen Defekt hatte man eher gerechnet, mit ihm wäre man emotional wohl besser klargekommen, aber dass ausgerechnet menschliches Versagen, ja schlimmer noch, eine böswillige Tat eines Einzelnen ein Flugzeug absichtlich zum Absturz gebracht haben soll, das wollen wir nicht für möglich halten. Wir haben uns daran gewöhnen müssen, dass es furchtbaren Terror gibt, von Menschen verursacht. Deshalb baut man seit dem Terroranschlag auf das World Trade Center in New York in Flugzeugen dicke Panzertüren zum Cockpit ein. Aber man dachte bislang, der potenzielle Böse kann nur auf der einen Seite der Panzertür sitzen. Nun erleben wir, dass es so einfach nicht ist, dass im Grunde genommen jeder Mensch, auch ein angesehener Pilot, zum Bösen fähig sein kann.
Eigentlich ist diese Erkenntnis so neu nicht: Nach Hitler haben wir erkannt, wie viele normale und angesehene Menschen mitgemacht haben bei dem menschenverachtenden und mörderischen System, das millionenfaches Leid verursacht hat. Nach vielen Missbrauchsfällen gerade im kirchlichen Umfeld haben wir gesehen, dass auch Lehrer, Pfarrer und andere Vertrauenspersonen zu bösen Taten in der Lage sind. Nach Uli Höneß wissen wir, dass selbst ein toller Fußballer und Manager Steuern im großen Stil hinterziehen kann. Wir lesen in der Zeitung, dass ein Pfleger seine Schutzbefohlenen getötet hat und manche Mütter ihre Kinder umbringen. Zum Glück ist das alles nicht der Normalfall. Die Menschen verhalten sich meistens hilfreich, angemessen und so, dass andere nicht gefährdet werden. Aber es gibt zu allen Zeiten auch das andere, was uns zutiefst erschreckt und was wir lieber nicht für möglich halten wollen und schnell krank nennen.
Seit Adam und Eva ist das so. Die Bibel ist voller böser Geschichten. So fängt alles: Adam und Eva benehmen sich im Paradies Gott gegenüber so schlecht, dass sie rausfliegen. Ein Bruder tötet seinen eigenen Bruder. Warum? Aus verletzter Ehre heraus, würde ein Psychologe sagen. Die Menschen sind so böse, dass Gott die Sintflut kommen lässt. Die Bibel formuliert schon auf den ersten Seiten: "Das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf." Die Theologie hat ein sehr nüchternes, kein nur positives Menschenbild. Das hat man ihr oft vorgeworfen. Manche negativen Spitzensätze meiner Theologieprofessoren habe ich noch in Erinnerung, weil sie uns Studenten damals extrem vorkamen: "Jeder Mensch kann zum Mörder werden." Das war so ein Satz. Tatort-Macher zeigen uns die Wahrheit dieses Satzes Sonntag für Sonntag, aber dann ist es ja "nur" ein Film.
Ein Mensch ist ein Mensch. Er kann lieben und wunderbare Taten vollbringen, auch für andere, er kann heilen, trösten, helfen. So wie es jetzt in den Alpen geschieht, wo viele Menschen in beeindruckender Weise im Einsatz sind, um Leichen zu bergen und Flugzeugteile einzusammeln, um Menschen zu begleiten und zu helfen. Aber leider gibt es auch die dunkle Seite im Menschen, die zum Zuge kommen kann, unter bestimmten Umständen und letztlich bei jedem.
In der Passionsgeschichte Jesu sind es seine Jünger und engsten Freunde, die ihn verraten und verleugnen. Es sind die angesehenen Hohenpriester und Führungspersonen im Volk, die Jesus festnehmen lassen und verhöhnen, verspotten und schlagen. Es ist der machtvolle Pontius Pilatus, der nichts Böses an Jesus findet und ihn dennoch töten lässt. So tickt die Welt. Unschuldige werden geschädigt und in den Tod gerissen. Durch böse oder unbedachte Taten von Menschen.
Das ist Leidensgeschichte. Nicht nur Jesu Leidensgeschichte. Viele unschuldige Menschen leiden in der Welt, weil andere schuldig werden. Gott hält sich da nicht heraus. Er leidet in Jesus mit allen Leidenden. Er kennt das Leiden und er will und kann es beenden. Das erfahren wir Ostern.
Mit freundlichen Grüßen
Birgit Niehaus, Pfarrerin

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26.3.2015

Als Jesus zum ersten Mal auf den Fischer Simon Petrus trifft, da begegnet der erfolgreiche Prediger und Heiler, der Menschen gewinnen kann wie kein anderer, dem Fischer ausgerechnet in einem total erfolglosen Moment. Die ganze Nacht hat Simon gefischt und nichts gefangen. Das leere Netz liegt vor ihm und muss trotzdem gereinigt und geflickt werden. Jesus gibt Simon in dieser Situation des Frustes einen verrückten Auftrag: "Fahre hinaus, wo es tief ist, und werft eure Netze zum Fang aus!" Natürlich entgegnet Simon Petrus mit seinem Fischerwissen: Das bringt doch nichts, wir haben es schon die ganze Nacht versucht. Und - das sagt er nicht, aber er denkt es als kluger Fischer sicherlich: Am helllichten Tag macht es sowieso keinen großen Sinn, Fische zu fangen. Aber er macht schließlich wider besseren Wissens, was Jesus ihm rät, weil eben Jesus es ihm rät - "auf sein Wort hin", so heißt es. Und dann ist Simon Petrus unerwartet erfolgreich. Eine große Menge Fische geht ins Netz. Das Boot droht zu sinken, so voll ist es. Nach der Leere diese Fülle. Nach der erfolglosen Nacht folgt dieser überbordende Erfolg mitten am Tag. Nach dem Kleinglauben kommt der Glaube und mit ihm der große Schrecken und die tiefe Einsicht: Jesus ist größer als Simon Petrus dachte. Petrus erkennt sich als Sünder, das heißt als ungläubigen Menschen, der solches nicht für möglich gehalten hat. Trotzdem macht Jesus Petrus zum Menschenfischer, zu einem, der dann viele Jahre mit Jesus und ebenso nach Jesu Erdenzeit die Netze für Jesus auswirft und Kirche baut.
"Auf sein Wort hin" sagen wir in den Kirchen bis heute das Wort Gottes weiter. Manchmal erscheint es uns auch verrückt, mitunter tun wir es ohne große Beute, dann wieder können wir unerwartet viele für Jesus begeistern. Fischer kennen diese Erfahrung zu Genüge und Menschenfischer machen sie genauso. Wir haben nicht alles in der Hand, so sehr wir uns auch bemühen. Wir haben nur das Netz in der Hand, ein Netz gestrickt aus guten Worten und Geschichten. Und dieses Netz dürfen wir nutzen, sollen wir nutzen, Tag für Tag, Nacht für Nacht. Jesus ist unser großer Mutmacher. Er sagt uns: "Wirf dein Netz aus!" Auf sein Wort hin tun wir das. Wir werfen die guten Worte Gottes aus und hoffen Menschen zu "fangen" für Jesus - bis ans Ende aller Tage.
Mit freundlichen Grüßen
Ihre Birgit Niehaus, Pfarrerin

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19.03.2015

Kleiner Nachtrag zum Weltfrauentag am 8. März, der wie jedes Jahr wohl an den meisten von uns spurlos vorübergezogen ist. Ein paar Worte von Martin Luther dazu, auch wenn es diesen Tag zu seinen Lebzeiten noch nicht gab. Damals, im 16. Jahrhundert, war unsere Gesellschaft viel mehr als heutzutage durch höchst ungleiche Rechte und Möglichkeiten für Frauen und Männer geprägt. Die Rollenaufteilungen unter den Geschlechtern waren klar, auch für Luther. Aber innerhalb dieses patriarchal zu nennenden Denk- und Gesellschaftssystems hatte Luther eine echt starke Frau an seiner Seite, Katharina von Bora, eine ehemalige Nonne. Sie war nicht nur seine Ehefrau und Gefährtin, sie managte sein großes Haus mit jeder Menge Gästen und Studenten, sie kümmerte sich um Essen und Trinken, um den großen Garten, um Geld, Kinder und alle anderen im Haus und braute Bier. Sie war so selbstbewusst und patent, dass Luther seine Katharina oft "Herr Käthe" nannte. Kein Wunder, dass Luther positive Worte über Frauen gefunden hat, so wie diese:
"Eine Frau ist der beste Gefährte für das Leben. Frauen gebären und erziehen die Kinder und sie regieren im Haushalt. Sie sind zur Barmherzigkeit geneigt; denn sie sind von Gott geschaffen, damit sei Kinder gebären, die Männer erfreuen und barmherzig sind. Am Weibe findet man viele Vorzüge auf einmal: Segen des Herrn, Nachkommenschaft, Vertrautheit mit den Dingen. Das sind so große Gaben, dass sie einen Mann wohl erdrücken könnten. Stellt euch vor, es gäbe das weibliche Geschlecht nicht. Das Haus und alles, was zum Haushalt gehört, würde zusammenbrechen, und auch die Staaten und Gemeinwesen. Die Welt kann also ohne Frauen nicht bestehen, sogar wenn die Männer selbst Kinder auf die Welt bringen könnten." (aus den Tischreden)
Dem kann und will ich nichts hinzufügen.
Seien Sie herzlich gegrüßt von Ihrer
Birgit Niehaus, Pfarrerin

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12.03.2015

Immer mehr Eltern statten ihre Kinder schon im Grundschulalter mit einem Handy aus. Es dient aber oftmals nicht einem Telefonkontakt für den besonderen Fall oder um kurzfristig etwas zu verabreden. Immer häufiger werden Kinder von ihren Eltern aufgefordert, täglich, nach jedem Weg, den sie allein zurückgelegt haben, zuhause anzurufen, um zu sagen, dass sie gut angekommen sind. Tun sie es nicht, was ja durchaus passieren kann, dass ein Kind es mal vergisst, sind die Eltern in großer Sorge und machen alle Welt verrückt auf der Suche nach ihrem Kind. Dabei ist es längst wie immer ohne Probleme und Zwischenfälle am Zielort angekommen. Denn das ist ja der Normalfall. Millionen von Kindern bewegen sich jeden Tag von einem Ort zum anderen. In der der Regel gehen sie kurze, eingeübte und vertraute Wege. Auf den Wegen zur Schule und zurück laufen meistens viele andere Kinder (und auch Eltern) mit. Theoretisch kann natürlich immer mal etwas Unangenehmes passieren, aber das ist zum Glück die Ausnahme. Normalerweise verläuft ein Schulweg völlig unspektakulär. Es gibt eigentlich keinen Grund, dem Kind durch die große elterliche Sorge, die vermittelt wird durch den Zwang, immer anzurufen, übermäßig Angst zu machen. Wer es trotzdem tut, bringt seinem Kind etwas Prägendes bei. Ein Kind lernt so ganz nebenbei von seinen Eltern: Das Leben ist gefährlich. Jeder Weg ist schwierig, vor allem, wenn man ihn allein geht. An jeder Ecke lauert Gefahr. Allein durch die Welt zu gehen ist nicht normal und schön oder abenteuerlich, nein, es macht meinen Eltern große Sorgen, wenn ich es tue. Weil sie mich ständig in Gefahr sehen, muss ich sie beruhigen, indem ich sie nach jedem Weg anrufe. Natürlich wollen Eltern nur das Beste, sie wollen ihrem Kind nicht bewusst Angst machen, aber sie tun es faktisch durch solches Verhalten. Die Pädagogik spricht in einem solchen Fall vom hidden curriculum, von einem verborgenen Lehrplan, der abläuft, ohne dass man ihn groß plant. Der wird vermittelt durch das Verhalten der Eltern und auch durch ihre Worte.
Wie soll so ein Kind, das diese Botschaften der Eltern tagtäglich verinnerlicht, froh und angstfrei seine Wege gehen? Wie soll es vertrauen lernen? Wie sollen solche Kinder sich unbefangen und frohgemut an Neues heranwagen, wenn alles außerhalb der elterlichen Wohnung als gefährlich gilt? Wie kann ein Kind, das ständig daran denken muss, seine Eltern zu informieren, selbstversunken und mit den Freunden beschäftigt seine Wege gehen? Ich bin selber Mutter und habe so etwas nie getan. Mein Sohn hat schon am ersten Schultag nach dem Einschulungstag zu mir gesagt: "Mama, du brauchst nicht mit zur Schule zu gehen, ich gehe mit meiner Schwester und den Nachbarskindern." Und ich habe ihn gelassen, habe ihn angstfrei mit den Kindern ziehen gelassen. Ihn habe den kleinen Jungen sogar bewundert für seinen Mut. Denn ich halte es für extrem wichtig, dass Kinder mutig und möglichst angstfrei durch die Welt gehen. Dass sie neugierig um die nächste Ecke schauen und nicht voller Angst. Dass sie ihre Wege als abenteuerlich und im positiven Sinne aufregend betrachten. Unterwegs kann man ja viel erleben mit seinen Schulfreunden und mit den Dingen, die einem begegnen. Ich erinnere noch gut an viele Wegstrecken, die ich als Grundschulkind mit den Nachbarskindern zurückgelegt habe. Wir haben unsere gemeinsamen Wege geliebt, wir haben geredet, wird sind gebummelt, wir sind verschiedene Wege und Umwege gegangen und haben uns so die Welt erobert. Beim Kiosk sind wir eingekehrt, um Süßigkeiten zu kaufen, wir haben normale und verrückte Dinge gemacht und unsere Eltern haben nichts von alledem gewusst und haben sich auch nicht gesorgt oder gewundert, wenn wir etwas später kamen. Handys gab es damals sowieso nicht und trotz der vielen Hausfrauen kaum Eltern, die ihre Kinder zur Schule gebracht haben.
Nur so - ohne übermäßig große Angst und voller Mut und Entdeckerfreude - kann man es im Leben weit bringen. Ängstliche Menschen haben es dagegen schwer im Leben, denn das Leben verlangt immer wieder, dass wir uns auf neue, unbekannte, mitunter auch beängstigende Wege einlassen. Wer Angst hat, der tritt auf der Stelle und traut sich nichts zu. Ich kenne solche ängstlichen erwachsenen Menschen, die ihre Angst niemals abgelegt haben, die sich ein Leben lang nichts zugetraut haben und sich auch als Erwachsene, wenn es dunkel wird, nicht allein aus dem Haus trauen, weil sie an jeder Ecke Gefahr wittern. Man wird nicht lebenstauglich mit zu viel Sorgen und Angst im Gepäck.
In der Bibel gibt es viele Menschen, die neue Wege gehen müssen, auch Wege, die unangenehm sind und Angst machen. Sie werden nicht mit einem Handy ausgestattet (das gab es ja nicht), sondern mit Gottes Segen. Wer mit Gottes Segen geht, der weiß, er geht nicht allein. Einer ist da, der behütet, der auf mich aufpasst und auch im Schweren zu mir steht. Früher haben viele Eltern ihre Kinder mit einem Segen aus dem Haus geschickt und abends ins Bett gebracht. Und das hat Eltern sorgloser und Kinder stark und mutig gemacht, denn sie waren nun stark wie zwei.
Das meint und wünscht Ihnen und Ihren Kindern Mut und Vertrauen in das Leben.
Ihre Birgit Niehaus, Pfarrerin

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05.03.2015

Wir saßen an unserem Hamburger Journalisten-Stammtisch beieinander und ordneten die Welt. Als die Flaschen leer und die Aschenbecher voll waren, sagte einer plötzlich: "Ab Aschermittwoch trinke ich keinen Alkohol mehr." Seine Mitteilung stieß auf großes Erstaunen. Eine Diskussion entbrannte und schloss mit einer Abmachung: Mehrere Journalisten wollten versuchen, sieben Wochen auf Alkohol zu verzichten. Das war der legendäre Start der Fastenaktion "7 Wochen ohne". Nicht ohne Grund knüpfen solche Fastenübungen an alte christliche Traditionen an, sich äußerlich und innerlich auf die österliche Begegnung mit Gott vorzubereiten. Anders gesagt: Wer bis zum Hals in Schlagsahne sitzt, wird die Leidensgeschichte Jesu kaum angemessen bedenken können. Wer sich aber vom schädlichen Überfluss freimachen kann, wird oft sensibler für das Kreuz und solidarischer mit den vielen Kreuzen in der Welt.
(Mit freundlicher Genehmigung abgedruckt aus dem Neukirchener Kalender, Kalenderblatt vom 3.3.2015, von Hinrich Westphal)
Mit herzlichen Grüßen und dem Wunsch, dass Sie die Fastenzeit nutzen mögen, um sensibler und solidarischer zu werden mit den vielen Leiden in der Welt.
Ihre Birgit Niehaus, Pfarrerin

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26.02.2015

Du bist schön! Wann hat das jemand zu Ihnen gesagt? Als Sie jung waren und sich jemand in Sie verliebt hat? Liebe macht ja bekanntlich sehend für die Schönheit des anderen. "Schön ist eigentlich alles, was man mit Liebe betrachtet", soll Christian Morgenstern gesagt haben. Du bist schön! Weil Du ein hübsches Gesicht, tolle Haare, ein bezauberndes Lächeln, eine gute Figur, einen trainierten Körper, einen leichten Gang hast. Oder weil Du von innen heraus strahlst, ein gütiger Mensch bist, ein liebevolles Wesen hast und Du Menschen in Deiner Gegenwart einfach glücklich machst. Es gibt unzählige Gründe, warum man jemanden als schön empfindet. Schöne Menschen tun gut. Schön, wenn sie da sind. Und jeder Mensch - übrigens auch jedes Tier - hat etwas, das ihn schön macht; man muss es nur entdecken. Eine neue Sendung mit dem Designer Guido Maria Kretschmer macht sich neuerdings auf der Suche nach Deutschlands schönster Frau. Und interessanterweise sind es nicht die makellosen jungen Models, die da auftauchen, sondern Frauen jeden Alters, die nicht perfekt sind - und trotzdem ist jede auf ihre ganz eigene Weise schön. Denn Schönheit hat viele Facetten, hängt eben nicht unbedingt an perfekten Gesichtszügen und einer optimalen Figur, sie zeigt sich in Wesen, Charakter, Stil, Persönlichkeit und Ausstrahlung.
Wir Erwachsenen sind jedoch eher auf Defizite gepolt. Ständig mäkeln wir an uns und anderen herum. Kaum jemand ist mit sich und seinem Äußeren zufrieden. Die Schönheitschirurgen verdienen daran, die mit sich selbst Unzufriedenen schöner zu machen. Ob die sich nach einer vollzogenen Operation aber wirklich schöner und besser fühlen? Man hat herausgefunden, dass Kinder sich in der Regel als schön oder zumindest als völlig in Ordnung empfinden, egal, wie sie aussehen. Sie sind nicht so selbstkritisch. Sie sehen das Einzigartige in sich und ihrem Spiegelbild und das finden sie schön. Sie sind deutlich zufriedener mit ihrem Aussehen und damit mit ihrer Schönheit als Erwachsene. Wir könnten von ihnen lernen!
Die diesjährige Fastenaktion der evangelischen Kirche hat das Motto: Du bist schön. Und weiter heißt es: 7 Wochen ohne Runtermachen. Was für ein schöner Impuls für diese Wochen der Passionszeit: Entdecke die Schönheiten in Dir und andern. Und sag`s dem anderen, der anderen auch mal ausdrücklich: "Du bist schön." Mach sie, mach ihn nicht runter. Mach Menschen nicht kleiner als sie sind, sondern sieh das Gute und Schöne im anderen und auch in Dir selber. So können wir alle leicht zu Schönheitsentdeckern und Schönheitsmachern werden, ohne den Skalpell anzulegen und eine Rechnung zu schreiben. Du bist schön! Wunderbar bist du gemacht! Mit diesen Worten sagt es ein altes Psalmwort. Und es hat recht. Denn jeder ist von Gott wunderbar erdacht und gemacht und jeder Mensch ist schön auf ganz eigene Art und Weise.
Schöne Grüße an Sie alle, an alle Schönen
von Ihrer Birgit Niehaus, Pfarrerin

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19.02.2015

Natürlich macht es keinen Spaß, Steuern zu zahlen. Denn man muss von dem Geld abgeben, das man verdient hat. Aber wenn wir das nicht täten, hätten wir keine Kindergärten, keine Schulen, keine Universitäten, keine Straßen, keinen Sozialstaat, keine Verwaltungen, keine Rathäuser, keine Landratsämter, keine Polizei, keine Krankenhäuser, kaum Kultur und vieles andere auch nicht. In einem Land zu leben, in dem Steuern abgeschafft wären, würde uns allen erst recht keinen Spaß machen. Deshalb führt zum Glück kein Weg daran vorbei, seine Steuern an den Staat zu zahlen. Wer es trotzdem wagt, Steuern zu hinterziehen, findet sich unter Umständen als Straftäter im Gefängnis wieder. Dafür gibt es genug abschreckende prominente Beispiele.
Wenn man in Deutschland wenig verdient, zahlt man auch nur wenig oder gar keine Steuern an Staat und Kirche. Wer viel verdient, wird stärker zur Kasse gebeten und der ist auch in der Lage, mehr zahlen. Das nennt man Solidarprinzip und da, wo es nicht ausgehöhlt wird, können Kosten fair verteilt werden. Durch unser solidarisches Steuersystem finanzieren wir in Deutschland eine soziale und gut funktionierende Gesellschaft, auf die viele in der Welt mit Respekt und Neid schauen. Seiner staatlichen Steuerpflicht kann man sich nicht entziehen, anders sieht es allerdings mit der Kirchensteuer aus. Da treten einige aus der solidarischen Finanzierung durch einen offiziellen Austritt aus. Viele verlassen die Kirche nicht, weil sie nicht mehr glauben oder das, was Kirche tut, generell ablehnen, sondern allein, um Geld zu sparen. Und Ausgetretene haben in der Regel keine Skrupel, das offen zu sagen. Am meisten sparen natürlich die Gutverdienenden, denn sie würden auch am meisten Steuern zahlen. Die Geiz-ist-geil-Mentalität scheint so langsam alle Bereiche und Gesellschaftsschichten unserer Gesellschaft zu durchsäuern. Ohne Kirchensteuern (oder von der Steuer abgekoppelte Abgaben wie bei den Freikirchen) könnten aber auch die Kirchen ihre vielfältigen religiösen und sozialen Aufgaben nicht erfüllen. Ohne Kirchensteuern gäbe keine Kirchen mehr, keine Gemeindehäuser, keine Pfarrer und andere Mitarbeiter, keine Gottesdienste, keine kirchlichen Kindertagesstätten, keine kirchlichen Schulen, kirchliche Senioreneinrichtungen und andere diakonische Einrichtungen.
Nun sind Kirchenmitglieder neuerdings besonders verunsichert oder verärgert und treten verstärkt aus der Kirche aus. Denn seit diesem Jahr werden Kirchensteuern auf Kapitalerträge wie z. B. Zinsen anders eingezogen. Was viele offenbar nicht wissen: Kapitalerträge, also auch Zinsen, gehören zu den Einkünften, die ab einer festgelegten Summe jenseits der Freibeträge der Besteuerung unterliegen und deshalb auch kirchensteuerpflichtig sind. Und das war immer schon so. Die Kirchen erheben also keine neue Steuer. Bereits seit 2009 wird die sogenannte Abgeltungsteuer für den Staat(d. h. Steuern auf Zinsen und andere Erträge, die durch Geld erwirtschaftet werden) im Wege eines automatisierten Steuerabzugs von der Bank einbehalten und an die Finanzbehörden weitergeleitet. Das geschieht seit diesem Jahr genauso auch mit den Kirchensteuern. Der Vorteil für die Kirchenmitglieder ist ein mehrfacher: Der pauschale Satz von 25 % bei der Abgeltungssteuer für den Staat, den die Bank abführt, liegt in der Regel niedriger als der Satz, mit dem sie ihre sonstigen Einkünfte versteuern müssen. Und infolgedessen sind auch die Kirchensteuern geringer, als wenn Sie diese erst bei der Einkommenssteuer versteuern würden, was früher üblich war. Durch die Automatisierung in den Banken müssen Sie sich um nichts mehr kümmern, sie ersparen sich die Angaben in ihrer Steuererklärung. Bereits im vergangenen Jahr haben die Banken ihre Kunden über dieses neue Verfahren informiert. Die Kirchen haben leider versäumt, das auch in angemessener Weise zu tun. Um weitere Irritationen und vorschnelle Kirchenaustritte zu verhindern, hier noch einmal die wichtigsten Informationen zum neuen Einzugsverfahren:
- Bei der automatischen Abgabe von Kirchensteuern durch die Banken handelt sich nicht um eine neue Steuer, auch nicht um eine Steuererhöhung, sondern lediglich um ein neues Einzugsverfahren.
- Die Kirchensteuer beträgt weiterhin 8 % der staatlichen Steuer. Wer z. B. 100 Euro Einkommens- oder Kapitalertragssteuersteuer zahlt, muss 8 Euro Kirchensteuer zahlen.
- Auch die Steuerfreibeträge bleiben unverändert: Bei Erträgen unter 801,00 Euro für Ledige und 1.602,00 Euro für Verheiratete muss man weder Steuer noch Kirchensteuer zahlen.
- Durch die pauschale Abgeltungsteuer von 25 % sind Steuern und Kirchensteuern in den meisten Fällen sogar gesunken.
- Weitere Informationen finden Interessierte im Internet unter: www.bayern-evangelisch.de/kirchenkapitalertragsteuer.

Kirche ist angewiesen auf Kirchensteuer, so wie der Staat auch auf zahlreiche Steuern angewiesen ist. Ohne Geld, das weiß jeder, kann man kaum etwas tun. Abgaben an die Kirche sind also notwendig, wenn wir kirchliche Arbeit, Institutionen und Mitarbeitende in der Kirche und nicht zuletzt das Christliche als eine prägende Kraft in unserem Land erhalten wollen. Es verdient Respekt, wenn Gläubige aller Gehaltsgruppen weiterhin Kirchensteuer bezahlen und für ihre Kirche gerade stehen, nicht nur, aber eben auch mit Geld. Und wenn Sie zu denen gehören, die besonders viel Kirchensteuern zahlen, dann seien Sie dankbar für Ihre soliden Einkünfte. Wir als Kirche danken Ihnen dafür, dass Sie so solidarisch sind und treu Ihren Beitrag zahlen. Und Sie dürfen auch stolz sein, denn aufgrund der hohen Abgaben der Reichen können wir in den Kirchen alle Menschen unabhängig von ihren Einkünften gut versorgen, auch Kinder, Jugendliche, Alte, Kranke, gering Verdienende oder Arbeitslose, die uns kein Geld geben können und auch nicht müssen, aber unsere Angebote vielleicht besonders nutzen und nötig haben. Treten Sie bitte nicht aus Ihrer Kirche aus und bleiben Sie uns auch durch Ihre Kirchensteuern verbunden. Es geschieht viel Sinnvolles damit.

Das meint und grüßt sie herzlich
Ihre Birgit Niehaus, Pfarrerin

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10.02.2015

Neulich hat sich jemand beschwert, weil ich eine Email, die am Sonntagnachmittag bei mir ankam, nicht am selben Tag noch beantwortet habe. So weit sind wir, dass erwartet wird, dass Menschen immer sofort reagieren - und das nicht nur im Notfall. Neue Kommunikationsmedien wie "What`s app" zeigen dem Sender einer Nachricht auch an, ob diese schon vom Empfänger gelesen wurde. Da wächst der Druck noch mehr, entweder schnell zu antworten oder sich dafür rechtfertigen zu müssen, es eben nicht getan zu haben.
Ich handhabe es so, dass ich in der Regel am Sonntagnachmittag nach getaner Arbeit nicht mehr an den Computer gehe. Ich rufe keine Mails ab und beantworte auch keine. Das hat, denke ich, alles Zeit bis Montag. Seitdem ich ein Smartphone besitze, kommuniziere ich gelegentlich auch am Sonntag damit, allerdings in Maßen und nur privat. Mails, die meistens dienstlichen Charakter haben, gibt es darauf sowieso nicht. Am Sonntag versuche ich wirklich, zur Ruhe zu kommen und einen Gang runter zu schalten. Denn dafür ist der Sonntag gemacht. Am Sonntagmorgen komme ich wegen meiner beruflichen Verpflichtungen schon nicht dazu, aber nach dem letzten Gottesdienst und Gespräch oder Kirchenkaffee ist auch für mich Ruhe angesagt. Aber diese festen Ruhezeiten scheinen wir in unserer durch digitale Medien geprägten Welt immer mehr zu verlieren. Wir sehen, wohin wir schauen, Menschen auf ihr Smartphone starren; sie sind sozusagen dauerhaft abgelenkt. Selbst beim Essen, im Gottesdienst, beim Konzert oder in Konferenzen sind die Smartphones dabei. Sie klingeln nicht laut, sondern signalisieren uns lautlos und dezent vibrierend, dass eine neue Nachricht uns erreicht hat. Der Soziloge Matthias Horx spricht von einer "Kultur der Störung", die wir mit den digitalen Medien hineingeraten sind. Fast immer sind wir bereit, uns durch neue Nachrichten stören zu lassen bei dem, was wir gerade tun.
Jesus war damals, als er in Israel herumzog und viele Menschen heilte, auch in der Gefahr, immerzu und an allen Orten gestört zu werden. Menschen umringten ihn und gingen ihm nach. Auch ohne Smartphone ist das möglich, wenn man nur berühmt genug ist. Manchmal war es Jesus einfach zu viel. Die Bibel berichtet öfter davon, dass er sich ganz bewusst zurückzieht: Egal, wie viele Menschen etwas von ihm wollen, er geht in die Wüste, er flieht auf ein Schiff, er verlässt die bedrängende Situation. Jemand wie er, der viel für andere Menschen da ist, braucht besonders Zeiten, wo er sich zurückziehen und sammeln kann. Und wenn sie sich von allein nicht einstellen, muss man dafür sorgen. Es werden auch damals nicht alle glücklich über seine Ruhezeiten gewesen sein, aber ohne seine Rückzugsorte hätte Jesus nicht kraftvoll wirken können. Das Leben besteht, wenn es ausgewogen und gesund ist, sowohl aus Phasen der Aktivität und des sozialen Miteinanders als auch aus Phasen des Nichtstuns und der Ruhe. Ohne Zeiten für Ruhe und Alleinsein sind Menschen auf Dauer überfordert und unglücklich. Im schlimmsten Falle werden sie krank. Ich denke, wir werden in Zukunft öfter mal unsere Medien bewusst ausschalten müssen, um nicht "irre" zu werden. Sicherlich wird uns auch gelegentlich eine nette Stimme sagen oder schreiben, wenn wir jemanden erreichen wollen: "Die Person, die sie gerade anrufen oder anschreiben, ist zur Zeit nicht erreichbar". Gut so.

Mit freundlichen Grüßen
Birgit Niehaus, Pfarrerin

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05.02.2015

„Den Letzten beißen die Hunde“; das sagt ein altes Sprichwort und das können wir im Tierreich beobachten: Das schwächste Tier wird auf der Flucht zur leichten Beute für das jagende Tier. In der Schule der Letzte zu sein mit den Noten oder im Sport beim Laufen - das ist höchst unangenehm. Und nicht anders ist es, wenn Arbeitsstellen vergeben werden. Wenn man sich auf den hinteren Rängen der Bewerberliste befindet, hat man keine Chance. Keiner will gern der Letzte sein, der Letzte, der ins Ziel kommt, der Letzte, an dem man denkt, der Letzte, der etwas abbekommt und, weil er der Letzte ist, oft nur in die leere Schüssel guckt.
In dem Gleichnis vom Weinbergbesitzer, das Jesus einmal erzählt, ist es nicht anders. Auch da sind die Letzten zunächst die Bedauernswerten, die ohne Arbeit, ohne Geld, ohne Perspektive. Den ganzen Tag müssen sie als Tagelöhner tatenlos warten - mit dem Gefühl: Keiner will mich, keiner braucht mich, keiner stellt mich ein. So war es damals wohl üblich. Auf dem Arbeitsmarkt der Tagelöhner standen die Menschen tagtäglich bereit. Jeden Tag haben sie gebangt: "Ob ich wohl Arbeit finde? Ob das Geld reichen wird, um meine Familie heute zu ernähren? Wie wird mein Chef an diesem Tag sein? Wird er mich gerecht behandeln oder bin ich seiner Willkür ausgeliefert?" Und dann geht es los. Frühmorgens zur ersten Stunde stellt der Besitzer des Weinbergs die ersten Leute ein. Man einigt sich auf den Tageslohn, ein Silbergroschen; das ist angemessen, so eine Art Mindestlohn, denn davon kann man seine Familie so gerade einen Tag lang ernähren, mehr ist nicht zu erwarten. Dann geht derselbe Chef noch einmal los, drei Stunden später, um 9 Uhr, noch einmal um 12 Uhr, 15 Uhr und um 17 Uhr. Immer wieder schickt er Menschen in den Weinberg. Ungewöhnlich und höchst interessant ist dann die Entlohnung. Mit den Letzten fängt er an. Diejenigen, die nur eine Stunde gearbeitet haben, bekommen den Tageslohn von einem Silbergroschen. So geht es weiter, auch für 3, für 6 und für 9 Stunden gibt es das gleiche Gehalt. Als Letzte kommen die Ersten dran, die 12 Stunden gearbeitet haben. Sie erhalten wie alle einen Silbergroschen; sie sind übrigens die einzigen, die diesem Verdienst zugestimmt haben. Aber sie sind auch diejenigen, die das Motzen anfangen: "Wie ungerecht ist das denn! Wir haben 12 Stunden schwer in der Hitze gearbeitet und andere nur eine Stunde. Da können wir doch nicht das Gleiche bekommen." Aber der Herr bleibt bei seinem Verfahren und entgegnet den scheinbar zu kurz Gekommenen: "Das, was ihr bekommen habt, steht euch zu; das hatten wir vertraglich so geregelt, also seid ruhig und geht." Und dann kommen Sätze, die zeigen, warum er die anderen genauso hoch bezahlt: Es ist reine Güte. Der Herr hat Lust daran, sein Geld zu verschenken. Und er hat die Macht dazu. Er kann schließlich mit dem, was ihm gehört, machen, was er will. Der Spitzensatz - an die Motzer gerichtet - lautet: "Schaust du so scheel drein, weil ich so gütig bin?" D. h.: Kannst du nicht ertragen, dass ich barmherzig bin? Gönnst Du dem Letzten nicht ein Geschenk? Mit seiner Barmherzigkeit sorgt der Weinbergbesitzer dafür, dass alle genug zum Leben haben. Er ist nicht ungerecht, indem er zu wenig zahlt, denn er hat sich an den vereinbarten und üblichen Lohn gehalten. Er gibt nur mehr, als zu erwarten war - und zwar denen, die sonst ohne Schuld leer ausgehen.
Keine Arbeitslosenversicherung greift hier vor 2000 Jahren in Israel, keine Sozialhilfe, kein Hartz 4, kein Verein Grenzenlos und kein Sozialkaufhaus. Im Grunde genommen macht der Herr es so, wie wir es heutzutage in unserer Gesellschaft handhaben. Jeder Arbeitslose, Kranke, Arbeitsunfähige, Asylbewerber, Flüchtling bekommt so viel, dass er leben kann. Und darum geht`s: um Güte, um Barmherzigkeit. Um das, was man sich nicht verdient hat nach den Gesetzen des Marktes. Es ist eine andere Gerechtigkeit, die in der Geschichte praktiziert wird, eine soziale Gerechtigkeit. Denn Gerechtigkeit ist in der Bibel nicht, wenn alle das Gleiche kriegen. Auch nicht, wenn man nach Leistung bezahlt wird. Und schon gar nicht, dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden. Gerecht ist hier, wenn jeder hat, was er zum Leben braucht.
Das Gleichnis von dem gütigen Weinbergbesitzer irritiert unser Leistungsdenken. In Gottes Reich geht es anders zu als in unserer Welt. Keiner geht da leer aus. Denn Gottes Gnade verschenkt sich so, dass alle leben können. Nein, wir haben wahrlich keinen Grund, scheel zu schauen, nur weil unser Gott gnädig ist. Und wir können stolz darauf sein, dass es in unserem Land soziale Sicherungssysteme gibt, die dafür sorgen, dass alle genug zum Leben haben. Gerecht ist, wenn jeder hat, was er zum Leben braucht. Wie gut, dass wir daran erinnert werden.

Mit freundlichen Grüßen
Birgit Niehaus, Pfarrerin

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29.01.2015

Mit welchen Leuten reden wir? Natürlich mit denen, die uns nahe stehen: Familienangehörige, Freunde, Arbeitskollegen und Klassenkameraden; in erster Linie also mit denen, die wir mögen und mit denen das Reden Spaß macht. Es gibt aber Berufsgruppen, die sprechen mit allen möglichen Menschen, die sie sich in der Regel nicht aussuchen: Ärzte zum Beispiel oder Verkäuferinnen, Lehrer, Journalisten, Pfarrer oder Politiker.
Nun war am 26.1.15 auf Seite zwei des MAIN-ECHOS die Tatsache eine Meldung wert, dass der SDP-Politiker Sigmar Gabriel in Dresden mit Pegida-Anhängern geredet hat. Und Gabriel ist nicht irgendein Politiker, er ist immerhin der SPD-Vorsitzende. Manche, selbst in seiner eigenen Partei, sind irritiert, verwundert, verärgert. Sie verstehen nicht, dass so ein bedeutender Politiker sich mit den demonstrierenden "patriotischen Europäern gegen die Islamisierung des Abendlandes", die viele in Deutschland ablehnen, abgibt. Und man ahnt, was dahinter steckt. Wer mit anderen rede, die nicht angesehen sind, mache schnell gemeinsame Sache mit denen oder sympathisiere mit ihnen. So denken viele. Dieser Anschein darf nicht aufkommen, verständlich; deshalb hält man lieber Abstand. Aber das ist eine sehr enge, eine viel zu enge Sicht des Miteinanderredens. Eine, die auf Berufsgruppen wie Politiker nicht zutrifft. Denn die müssen mit allen im Gespräch sein. Wenn Menschen sich aufmachen, um auf die Straße zu gehen, haben sie eine Botschaft, von der sie wollen, dass sie gehört wird. Viele rennen bei den Pegida-Demonstrationen mit, weil sie eben das Gefühl haben, die Politiker kümmern sich nicht um sie und ihre Probleme. Viel Frustration sammelt sich da in einer Bewegung, die mit ihren Parolen erschreckend ist. Manche Mitläufer geben in den Interviews im Fernsehen sogar offen zu, dass sie gar nichts gegen Ausländer haben. Und trotzdem schließen sie sich in ihrem Frust Parolen an, die gegen den Islam und Ausländer in unserem Land gerichtet sind. Im Grunde genommen muss man mit solchen Menschen reden und darf sie nicht verloren geben. Wenn also Gabriel mit einigen Pegida-Demonstranten spricht, macht er nur das, was man von einem Politiker erwarten kann und muss, eben mit Menschen reden.
Auch Menschen von der Kirche reden mit allen, deshalb gibt es Seelsorge in allen Bereichen, selbst im Knast, wo die überführten Übeltäter unserer Gesellschaft sitzen. Dass man mit Menschen redet, die Dinge tun oder getan haben, die nicht gut sind, heißt doch nicht, dass man diese Dinge gutheißt oder dass man gemeinsame Sache mit ihnen machen will. Jesus hat vor 2000 Jahren auch Menschen damit verblüfft und verärgert, dass er mit vielen vom Rande der Gesellschaft sprach und aß. Menschen, mit denen die meisten nichts zu tun haben wollten, wie Zöllner, Ehebrecher, Prostituierte. Der Zöllner Zachäus zum Beispiel, den mochte keiner, weil er anderen Menschen mehr Geld abnahm, als erlaubt war. Jesus geht trotzdem zu ihm, kehrt sogar in sein Haus ein und sitzt mit ihm am Tisch. Was sie miteinander geredet haben, erfahren wir nicht. Nur dass es offensichtlich ein fruchtbares Gespräch war, das Zachäus verändert hat. Denn Zachäus sieht am Ende ein, dass er falsch gehandelt hat, und gibt das Geld zurück, das er zu Unrecht genommen hat, und spendet darüber hinaus für die Armen.
Sigmar Gabriel ist mutig. Und in vielen Emails erhält er zu Recht positive Bestätigung für sein Verhalten, mit dem er nur vordergründig aneckt. Bleibt zu hoffen, dass das Kümmern und Reden auch hilft und bei einigen ein Umdenken bewirkt.
Mit freundlichen Grüßen
Birgit Niehaus, Pfarrerin

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22.01.2015
Mit diesem „Angedacht“ verabschiede ich mich von Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser. Denn in meiner Eigenschaft als Pfarrer von St. Markus werde ich mit dieser Ausgabe das letzte Mal meine Gedanken an Sie richten. Wie die meisten wissen, werde ich ab 1. Februar Dekan in Aschaffenburg und Pfarrer an der Christuskirche und von daher mit einem anderen Rahmen und in einer anderen Funktion an die Öffentlichkeit treten.

Woche für Woche lesen wesentlich mehr Menschen das „Angedacht“ als in den Gottesdienst kommen - vielleicht ausgenommen Heilig Abend. Die öffentliche Wortverkündigung geschieht also in vielfältiger Weise und sie erreicht unterschiedliche Menschen. Was aber nicht geschehen darf, ist das eine gegen das andere auszuspielen. So einzigartig der wöchentliche Gottesdienst für das geistliche Leben der Gemeinde ist, so unverzichtbar ist die Stimme der Kirche in Fragen des gesellschaftlichen Zusammenhalts.
Manchmal wurde ich gefragt: „Wie finden Sie eigentlich Ihre Themen?“ Und es schwang dabei mitunter die Frage mit: Gehen Ihnen nicht irgendwann einmal die Themen aus? Diese Sorge freilich hatte ich nie. Denn, um es etwas salopp zu sagen, die Themen liegen gleichsam auf der Straße. Ein Blick in die Tageszeitung oder 15 Minuten tägliche Nachrichten genügen um zu erkennen, wie sehr „Religion“ uns alle betrifft. Das allerdings gehört zu meinen festen Überzeugungen: Wir sind in unserem täglichen Leben von Gott umfangen, werden von seinem Geist begleitet und mit seiner Freiheit beschenkt, um in diesem täglichen Leben und Streben „unseren Mann“, „unsere Frau“ zu stehen. In aller Vorläufigkeit unseres Wissens, mit aller Fehlerhaftigkeit unseres Charakters, in aller Unsicherheit dieser Welt. Der Glaube trägt, der Glaube fragt nach, der Glaube ist kritisch und solidarisch, tröstend und herausfordernd, der Glaube ist mitten in dieser Welt präsent.
Dass wir in unserer pluralistischen Gesellschaft nicht mehr von einer einzigen Art zu leben und zu glauben ausgehen dürfen, ist eine Tatsache und gehört zu den unaufgebbaren Stärken einer lebendigen Demokratie. Insofern habe ich mich immer gefreut, in Gesprächen mit Ihnen Zustimmung und Kritik vernommen zu haben. Denn nur im Gespräch miteinander, und sei es in der Auseinandersetzung mit dem geschriebenen Wort, geschieht Verständigung und Klarheit. Ich werde mir selbst und meinen Vorstellungen umso sicherer, je mehr ich sie in das Gespräch mit anderen einbringe und überprüfe, ob sie tragfähig sind oder nicht. Wer im stillen Kämmerlein glaubt, die wesentlichen Fragen des Lebens für sich und die Welt gefunden zu haben, geht in die Irre. Selbst dem großen Philosophen Immanuel Kant ging es so. Denn so genial seine Gedanken auch immer gewesen sein mochten, die er in seiner Schreibstube in Königsberg zu Papier gebracht hat: Die Wirklichkeit sah schon damals weithin anders aus.
So wünsche ich Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, auch weiterhin die kritische Aufmerksamkeit für „Ihre“ evangelische Kirche, bringen Sie sich mit Ihren Gedanken und Anliegen ein, lassen Sie sich weiter infrage stellen und herausfordern und vor allen Dingen: Bleiben Sie miteinander im Gespräch!

Es grüßt Sie herzlich

Ihr Pfarrer Rudi Rupp

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15.01.2015

Einen guten Rutsch!
Hat Ihnen das jemand gewünscht? Oder haben Sie es sogar selber gesagt?
Vielleicht haben Sie sich auch schon mal darüber gewundert, dass man seinen Mitmenschen mitten im Winter einen "Rutsch" wünscht, denn meistens geht es nicht gut aus, wenn wir ins Rutschen und Schlingern geraten. Alte Menschen gehen erst gar nicht raus, wenn im Winter draußen Rutschgefahr besteht. Zu schnell fällt man und bricht sich die Knochen. Wünscht man sich deshalb einen betont "guten" Rutsch ins neue Jahr, einen, der bei aller Feuchtigkeit des Silvesterabends positiv ausgeht?
So kommen wir nicht weiter mit unseren Erklärungsversuchen. Der "gute Rutsch" als bekannter und recht deutsch klingender Neujahrswunsch ist vermutlich ein Stück dessen, was die Pegida-Anhänger verhindern wollen. Denn den Ausdruck "guten Rutsch" kennen wir nur, weil in unserer Gesellschaft schon seit Jahrhunderten auch andere Kulturen und Menschen aus fremden Ländern leben. Wenn die Integration gelingt, bereichert die fremde Kultur die bisher von ihr unberührte Kultur. Wer hätte noch vor 50 Jahren gedacht, dass wir regelmäßig beim Italiener, Griechen oder Asiaten essen gehen oder selbst Rezepte aller Herren Länder auf deutschen Herden kochen? Im besten Falle kommt es zu einer wechselseitigen Befruchtung, wenn Menschen verschiedener Kulturen und Herkunftländer in einem Land zusammenleben. So feiern auch einige Muslime und Angehörige anderer Religionen in Deutschland inzwischen ein Weihnachtsfest mit Baum und Geschenken - wenn auch ohne die spezifische christliche Botschaft, aber das gilt in gleicher Weise für manch alteingesessenen Deutschen, der sich mit der christlichen Religion nicht besonders auskennt.
Im Judentum feiert man ähnlich wie bei uns ein Neujahrsfest und das heißt Rosch-ha-schana. Juden wünschen sich zu Jahresbeginn einen "guten Rosch" und das heißt nichts anderes als einen guten Anfang des Neuen Jahres und ein schönes Neujahrsfest. Sehr wahrscheinlich, dass daher unser "guter Rutsch" stammt. Den guten "Rosch" als guten Anfang verstehen unter uns nur diejenigen, die sich ein wenig mit dem Judentum auskennen. Aber auch all die anderen, die gar nicht wissen, woher der Ausdruck "guter Rutsch" stammt, benutzen ihn fleißig - nicht ahnend, dass sie damit ein Stück fremder Kultur und Sprache weiter tragen.
Ich wünsche Ihnen jedenfalls einen guten Beginn des neuen Jahres und Gottes Segen für alle Tage, die noch kommen werden. Ein ausschließlich glückliches Jahr erleben wohl die wenigsten, aber wenn man die schwierigen Herausforderungen mit Gottes Hilfe und mit der Unterstützung anderer Menschen gut meistert, ist das auch schon was.
In diesem Sinne einen guten Rutsch!
Ihre Birgit Niehaus, Pfarrerin

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8.1.2015

Die ältere Dame konfrontiert mich mit einem ungewöhnlichen Wunsch: „Können Sie mir bitte eine Audienz beim Papst verschaffen?“ Ich muss etwas verständnislos geschaut haben, denn sie fuhr sogleich fort: „Ich weiß, dass Sie evangelischer Pfarrer sind, aber beim katholischen war ich schon und der Bischof Hofmann in Würzburg hat mich gar nicht erst empfangen!“ Auf meine Nachfrage, warum sie denn eine Audienz beim Papst wolle, erzählt sie mir ihre Lebensgeschichte, die gerade in den letzten Jahren eine wahre Leidensgeschichte gewesen sein muss. Sie erzählt von erlittenen Kränkungen und offenen Wunden, von verständnislosem Achselzucken und verschlossenen Türen, von dem Gefühl, einfach links liegen gelassen zu werden. Ich spüre, dass ich der Frau eine weitere Enttäuschung nicht ersparen werde, denn eine Audienz beim Papst kann ich ihr beim besten Willen nicht verschaffen, selbst wenn ich es wollte. Doch bevor ich ihr das erklären kann, hat sie sich schon abgewendet: „Ich weiß, dass Sie mir auch nicht helfen können!“
Szenenwechsel. Auf meinem Schreibtisch liegt ein Schreiben vom Büro des Landesbischofs. Als ich es öffne, entdecke ich einen mehrere Seiten langen, eng beschriebenen Text, in dem ein mir unbekannter Mann allerlei Vorwürfe gegen mehrere Pfarrer seiner Kirchengemeinde erhebt. Etliche der dort erhobenen Vorwürfe sind bereits jahrzehntealt, die Kollegen längst nicht mehr dort und sogar im Ruhestand, manche der beschriebenen Vorfälle verstehe ich gar nicht, andere würde ich unter der Rubrik „vernachlässigbar“ einordnen. „Sehr geehrter Herr Landesbischof, Sie müssen mir helfen …“ so steht darüber. Das beiliegende offizielle Schreiben bittet mich, kurz Stellung zu nehmen.
Wir wissen, dass im Büro der Bundeskanzlerin oder des Bundespräsidenten ebenso wie im Vatikan oder im Landeskirchenamt in München täglich Beschwerden und Bittbriefe in großer Zahl eingehen. Manchmal kann man es auch hören, dass sich Menschen mit ihren ganz persönlichen Anliegen direkt an „die da oben“ wenden. Was bewegt Menschen dazu? Glauben sie im Ernst, das sei der richtige, der erfolgversprechende Weg?
Ich glaube, dass viel Frustration und erlittene Zurückweisung mit im Spiel sind. Wer immer wieder erlebt hat, dass er nicht gehört und sein Anliegen abgelehnt wurde, probiert es eben dann ganz oben in der Hoffnung auf Erfolg. Manche Fernseh- und Radiosendungen laden auch bewusst dazu ein. „Wir lösen ihr Problem!“ versprechen sie und man gewinnt als Zuschauer das Gefühl, einen persönlichen Kümmerer zu haben. Oft genug ein Trugschluss.
Bisweilen sehen Menschen ihre persönlichen Probleme aber auch in einem sehr eingeschränkten Licht. Was individuell vielleicht tatsächlich schwierig ist, entpuppt sich im Vergleich zu anderen als vergleichsweise geringfügig. Defizite in der Betreuung von Demenzpatienten – das große Problem im eingangs beschriebenen Beispiel – sind für Angehörige sicher quälend, doch der Papst in Rom wird nicht unser Gesundheitssystem reformieren können. Nachbarschaftsstreitereien gehen an die Nerven, aber der Ministerpräsident wird sich für sie keine Zeit nehmen können. Fluglärm am Untermain mag störend sein, doch im Bundeskanzleramt wird dafür nachts kein Licht brennen.
Ungleich besser ist es, sich die berühmte Mahnung zur Gelassenheit ins Gedächtnis zu rufen und sie vielleicht groß geschrieben immer vor Augen zu haben: „Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“

Es grüßt Sie herzlich

Ihr Pfarrer Rudi Rupp

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